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Die Kiffer sterben nicht aus

■ Die älteren Jahrgänge unter den Haschischrauchern werden zunehmend zur Minderheit und fühlen sich stigmatisiert. Bei den Jugendlichen deutliche Trendwende zu Ecstasy

Neulich bei einer Betriebsweihnachtsfeier. Die Runde sitzt zu vorgerückter Stunde in Kreuzberg in der Kneipe, und die Joints kreisen. Nur drei von 13 Kolleginnen und Kollegen lassen den daumendicken Stick an sich vorüberziehen. Die anderen, obwohl von wenigen Ausnahmen abgesehen eigentlich Nichtkiffer, saugen geradezu begierig an dem dampfenden Teil. Die würzigen Schwaden ziehen durch das gutbesuchte Lokal, aber keinen Gast stört es.

Kiffen ist in bestimmten Kneipen der Stadt völlig normal. Das Besondere an der Weihnachtsfeier war nur, daß fast alle in der Runde mitrauchten. Der Alltag sieht anders aus. „Wir werden in unserem Bekanntenkreis zunehmend zur Minderheit“, klagen Haschischraucher zwischen 30 und 50. Was früher undenkbar war: Sie werden von neugierig-verächtlichen Blicken verfolgt, wenn sie Blättchen auf Blättchen kleben und das Dope in den Tabak krümeln.

Der Joint qualmt noch nicht, da gucken ihnen die anderen schon besorgt tief in die Augen und fragen besorgter als Krankenschwestern: „Merkst du schon was?“ Weniger die Angst vor der Strafbarkeit wird von erfahrenen Kiffern als Grund genannt, sich nicht zu outen, sondern die Sorge vor der Stigmatisierung. Vor allem die älteren Jahrgänge, die Karriere gemacht und Familie haben, scheuen sich, ihr Laster öffentlich zuzugeben. „Es wäre ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse“, meint einer. „Aber auch in meiner eigenen Firma wäre der Ansehensverlust immens.“ Italiener seien da viel toleranter, weiß ein anderer. „In Deutschland ist eben immer noch die christliche Droge Alkohol König.“

Ein 41jähriger Journalist erzählt, daß er sich den Joint abends nach harter Recherche zur „mentalen, intellektuellen Entspannung“ gönnt. Er schlafft dann „leicht entrückt, aber freundlich“ auf dem Sofa vor dem Fernseher ab, sehr zum Leidwesen seiner eher abstinent lebenden Freundin. Das Urteil von Nichtkiffern über Kiffer ist hart. Für einen 26jährigen Barkeeper hat Haschisch das Image einer „Loserdroge“. Er assoziiert damit „im Kollektivwahn verhaftete, erfolglose Ökospießer“. Für eine 20jährige Studentin war es von klein auf ganz normal, daß ihr Vater kiffte, so wie andere Leute Zigaretten rauchen. „Besonders die Männer unter den Althippies sind sich alle ähnlich“, geht sie mit den Kiffern ins Gericht. „Die jammern ständig über alles, beklagen ihr Schicksal, aber haben null Antrieb, etwas zu ändern.“

Die Zahlen der Landesdrogenbeauftragten Elfriede Koller für 1996 bestätigen den Trend: Die Jugendlichen wenden sich zunehmend vom Haschisch ab. 13,8 Prozent der 15- bis 17jährigen in Westberlin haben Erfahrungen mit Ecstasy, mit Cannabis dagegen nur 11,3 Prozent. Erstmals, so Koller, gebe es eine so deutliche Wende hin zum „Leistungsfähigsein, Schnellermachen, Durchhalten“. Im Ostteil der Stadt dagegen überwiegt bei der Altersgruppe noch die Erfahrung mit Cannabis (9 Prozent, Ecstasy 3,4 Prozent).

Es besteht jedoch kein Grund zu der Sorge, daß die Kiffer im Aussterben begriffen sind. Auf Schulhöfen, im Theater, bei der Bundeswehr und in den Schreibstuben werden nach wie Joints gerollt. Koller schätzt rund 130.000 Haschischkonsumenten in Berlin, vermutlich sind es mehr. Auch an der Droge ist keinerlei Mangel, wie der Leiter des Rauschgiftdezernats, Rüdiger Engler, mit Hinweis auf die seit Jahren konstanten Preise erklärt.

„Viele hören auf, wenn sie selbst Kinder bekommen“, hat Koller erfahren. Das größere Schlafbedürfnis eines Kiffers lasse sich mit Beruf und Familie nur schwer vereinbaren, erzählen Kenner. Der Drogenexperte Günter Amendt hat bei seinen Bekannten, die seit nunmehr 30 Jahren dabei sind, nur festgestellt, daß sie seltener zur Pfeife greifen. Gezielt zum Relaxen und Musikhören zum Beispiel. „Maßhalten“, lautet das Credo des Autors und Drogenpapstes Hans Georg Behr, der Haschisch 1953 noch als legale Droge schätzen lernte. Von seinen 20 Freunden im Alter zwischen 40 und 70 Jahren hätten nur zwei aufgehört. Dafür hätten zwei 80jährige Herren angefangen. „Anders läßt es sich doch im Seniorenheim nicht aushalten.“ Plutonia Plarre

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