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Strauß ist tot, Markwort lebt

■ Der "Spiegel" wird 50: Seinen Frieden mit "Focus" hat er längst geschlossen, er geriert sich als Spezialist für Zeitgeschichte, und er leistet sich ein neues Gewand

Der Erfolg von Nachrichtenmagazinen hängt nach Ansicht von Augst vor allem vom politischen Zeitgeschehen ab“, schrieb unlängst die Deutsche Presseagentur anläßlich des bevorstehenden Jubiläums des Spiegel. Kurzerhand wurden so Chefredakteur Stefan Aust und Herausgeber Rudolf Augstein zu einer Person vermengt, was in mancherlei Hinsicht durchaus Sinn macht: Beide klein, beide zynisch und beide über jeglichen Selbstzweifel erhaben.

Doch Strauß ist tot und Markwort lebt. Während sich Spiegel- Gründer Augstein stets noch als Frontmann am „Sturmgeschütz der Demokratie“ begriff, wird der fünfzigjährige Aust immer mehr zum coolen Medienkapitän, der neben dem Print-Dampfer mit über 800 Mann Besatzung noch die TV-Jolle navigiert und nebenher sogar den schrulligen Herausgeber durch vorauseilenden Gehorsam zu entschärfen weiß. Während sich Austs Vorgänger mit Augstein wahre Schlachten am Faxgerät lieferten, gibt der selbst die peinlichsten Tagebucheinträge des Spiegel-Gründers zum Abdruck frei.

Aber Aust hat es auch nicht leicht. Während es früher amoklaufende Verteidigungsminister und korrupte Wirtschaftsbosse zu bekämpfen galt, muß Aust sich heute mit einer grassierenden Politikmüdigkeit auseinandersetzen, die der Focus mit allerlei Servicethemen aus dem Reich der Verbraucher auszuschlachten weiß. Inzwischen schämt sich niemand mehr, in der Business class nach Markworts Info-Box zu verlangen.

Fast scheint es, als habe sogar Aust seinen Frieden mit Focus geschlossen. Längst treffen sich die Redaktionen zum kollegialen Fußballmatch oder wetteifern vor der Tür von Margarethe Schreinemakers oder Peter Graf um die besten Boulevard-Geschichten.

So muß denn auch der Vertriebsleiter des Spiegel-Verlags, Mathias Bonn, eingestehen, daß das „Interesse der Deutschen an innenpolitischen Themen deutlich zurückgegangen ist“. Und weil sich Titelgeschichten aus Politik und Wirtschaft inzwischen unterdurchschnittlich verkaufen, geriert sich der Spiegel entweder als Fachblatt für Zeitgeschichte – mit Hitler und Kaspar Hauser auf dem Cover – oder stellt gleich die kniffligste aller Gretchenfragen: „Wer ist Ich“?

Wer oder was ist der Spiegel?, fragen sich angesichts der permanenten Identitätssuche nicht nur die Stammleser. Denn längst vorbei sind die Zeiten, als noch das legendäre Redaktionsstatut von anno 49 galt (bei den Formulierungen ist „jeder Krampf zu vermeiden“) und die Autoren zugeschmierte Artikel in ihren Fächern fanden, an die der oberste Sprachschleifer mit grüner Tinte die Frage an den Rand geschrieben hatte, ob man diese „Pißkacke“ auch noch drucken solle.

Heute firmiert so etwas unter der Rubrik „Am Rande“, die als Pointen-Insel auch als solche ausgeflaggt ist. Kursiv gesetzt, signalisiert sie selbst den eiligeren Blätterern: Achtung, hier geht's lustig zu. Nicht nur mit dem Humor, auch mit der Jugend steht die Redaktion (Durchschnittsalter 44) auf permanentem Kriegsfuß: Trotz zahlreicher Trend- und Themenscouts läuft der Spiegel dem Geschehen regelmäßig hinterher und bemüht statt eigener Recherche häufiger die Stadtmagazine. Auch das sich mächtig trendy gebende Kultur- Supplement für Abonennten („Extra“) fungiert eher als hausinterne Journalistenschule. Da darf sich schon mal eine Autorin seitenlang über die schlichte Sat.1-Filmreihe „German Classics“ freuen, während das Projekt im Stammheft routiniert abgewatscht wurde.

Die schwankende Qualität führen viele Mitarbeiter auf Austs Doppelbelastung durch Spiegel und das von ihm gegründete „Spiegel TV“ zurück. Weil ihn mehr die Fernseh-Dependance im Hamburger Chilehaus interessiere, überlasse er die Themenplanung weitgehend seinen Stellvertretern, zu wichtigen Interviews reise er allenfalls aus Prestigegründen mit. Das Lamento der Untergebenen hat auch wirtschaftliche Gründe. Denn seit Aust den schmaler gewordenen Gewinn (der sank von 1992 bis heute von 100 auf 25 Millionen Mark) bevorzugt in neue Fernseh-Projekte investiert, bangen die Mitarbeiter, die über eine GmbH&KG 50 Prozent des Spiegel besitzen (die andere Hälfte teilen sich Gruner+Jahr und die Familie Augstein) um ihre Gewinnausschüttung. Als Reaktion auf die hausinterne Kritik gab Aust die Chefredaktion des Fernsehablegers ab und versicherte, sich fortan „100prozentig“ für das gedruckte Magazin zu engagieren. Als Geschäftsführer wird er allerdings auch in Zukunft der überwiegend weiblichen TV-Redaktion auf die Finger schauen.

Bis zum 31. Dezember 2000 läuft Austs Vertrag – danach will er ein Buch über den Amazonas schreiben. Die Zeit dafür könnte er dann haben, denn manche sehen Aust nur als Übergangslösung, bis Augsteins Sohn Jakob den Laden übernimmt, der zur Zeit als Reporter für die Süddeutsche Zeitung arbeitet. Auf der letzten Gesellschafterversammlung des Spiegel hat er bereits seinen Vater vertreten und dort, wie zu hören ist, einen guten Eindruck hinterlassen.

Diejenigen, die jetzt beim Spiegel arbeiten, werden laut Augstein (siehe Interview) „den Untergang nicht mehr erleben“. Dafür aber die neue Vierfarbigkeit. Am Montag wird sich der Spiegel ein weiteres Stück an den Focus annähern. Ein überarbeites Layout und neue Schriften sollen für mehr Transparenz und eine Optik, ähnlich Time oder Newsweek, sorgen. Diese beiden Magazine waren schon 1946 die Vorbilder des Spiegel.Oliver Gehrs

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