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Eigentlich sind sich doch alle einig

Derzeit herrscht noch großes Gezänk um die Steuerreform, doch hinter den Kulissen haben sich die Bonner Parteien schon angenähert. Nur an die Rente trauen sie sich nicht heran  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die finanzpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Christine Scheel, ist frustriert. Drei Kleine Anfragen zur Einkommensteuerreform hatte ihre Partei Anfang Dezember gestellt, die von der Bundesregierung nicht beantwortet wurden. Nun will Finanzminister Theo Waigel Ende Januar die Eckdaten für die Reform vorlegen, was die Regierung aber heute bereits nicht daran hindert, die Kosten der Steuerreform mit 90 Milliarden Mark und die Nettoentlastung mit 30 Milliarden Mark zu beziffern. „Die haben Angst, daß wir gründlich nachrechnen“, sagt Christine Scheel.

Die Oppositionsparteien jedoch sind auch nicht weiter. Die Bündnisgrünen wollten im Dezember ihren Finanzierungsvorschlag für die Steuerreform vorlegen und vertrösteten dann aufs neue Jahr. Die SPD hat sich erst gar nicht bemüht, vor der Koalition mit eigenen Zahlen aufzuwarten. Die Parteien einigt die Furcht, es sich mit ihren Finanzierungsvorschlägen für die Steuerreform mit allen möglichen Interessengruppe zu verscherzen.

Auch sonst scheinen Koalition und Opposition weniger weit auseinander zu liegen, als es in den zurückliegenden hitzigen Auseinandersetzungen den Anschein hatte. In Anbetracht der tiefgreifenden Steuersenkungen, die sie alle anstreben, sind ihre Vorschläge erstaunlich ähnlich. Sie kreisen um Steuersätze zwischen 20 bis 40 Prozent. Unterschiede, wenn auch geringe, gibt es lediglich beim Spitzensteuersatz. Die Grünen zieren sich zwar öffentlich, sich auf 40 Prozent festzulegen, aber es zeichnet sich dafür eine Mehrheit ab. Bei der SPD spricht der finanzpolitische Sprecher Joachim Poß von 45 Prozent. Dahinter steckt die Einsicht: Den Spitzensteuersatz von 53 Prozent zahlen wegen der vielen Schlupflöcher ohnehin nur die wenigsten Spitzenverdiener.

Das Zentralinstitut für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) vermutet, daß die Steuereinbußen infolge der Ausnutzung steuerlicher Regelungen und Steuerhinterziehung etwa 45 Prozent betragen. Die Steuerquote schwankt lediglich zwischen 22 und 25 Prozent. 46 Prozent aller Freiberufler machen pro Jahr mehrere 100.000 Mark Verluste steuermindernd geltend. Allein die geltend gemachten Verluste aus Vermietung und Verpachtung kosten den Staat jährlich 4,7 Milliarden Mark, wie das ifo-Institut errechnet hat. Warum also durch hohe Steuersätze Investoren abschrecken und die Steuermoral ungünstig beeinflussen, wenn man die hohen Steuersätze eh nicht durchsetzen kann?

Alle Parteien wollen, wie es Joachim Poß formuliert, „Steuersätze haben, die niedriger sind, dafür aber die Wahrheit sagen“. Für Abschreibungskünstler bedeutet das, selbst nach dem Konzept der Union: Sie müssen mehr bezahlen als vorher. Auch darin, künftig möglichst alle Einkunftsarten zu besteuern (auch Einkünfte von Geringverdienenden wie Arbeitslosengeld und -hilfe, Nachtarbeits- und Überstundenzuschläge sowie Abfindungen) sind sich alle weitgehend einig. Noch vor einigen Wochen war ein erbitterter Streit um die Besteuerung der Lohnersatzleistungen entbrannt, die Finanzminister Waigel vorgeschlagen hatte. Soll etwa ausgerechnet bei den Ärmsten der Armen abkassiert werden, hieß es? So hatte etwa Joachim Poß im taz-Interview die Besteuerung der Lohnersatzleistungen abgelehnt. In seinem neuen Reformpapier ist davon keine Rede mehr. Die Grüne Christine Scheel fragt: „Ist es gerecht, wenn einer ein Arbeitslosengeld in Höhe von 6.000 Mark bezieht, ohne daß es besteuert wird?“ Und stellt fest: Wer niedrige Lohnersatzleitungen erhalte, brauche aufgrund der Freibeträge ohnehin keine Abzüge zu fürchten.

Alle lassen sich von der Überlegung leiten: Wenn die nominale Steuersenkung nur groß genug ist, bleibt unter dem Strich mehr Einkommen übrig, selbst wenn einige Vergünstigungen wegfallen. Die Republik besteht schließlich nicht nur aus Nachtarbeitern, die ständig Überstunden leisten und überdurchschnittlich weite Anfahrtswege haben. Über die Abschaffung des Kilometergeldes (70 Pfennig) zugunsten einer verkehrsmittelunabhängigen Pauschale sind sich ebenfalls alle Parteien einig. Die SPD will pro Kilometer 50 Pfennig erstatten, die CDU 20 bis 30. Die Grünen haben 20 Pfennig beschlossen, auch wenn einige am liebsten ganz auf die Pauschale verzichten würden.

An die Rente trauen sich die Parteien nur zögernd heran. Systematisch richtig wäre eine höhere Besteuerung schon, ist von allen Seiten zu hören. Wenn die Rentner nur stillhalten würden. Als einzige sagen die Grünen schon jetzt, daß sie die Renten stärker als bisher besteuern wollen.

Der wesentliche Unterschied bei den Parteien ergibt sich aus der Frage, wer wie hoch entlastet werden soll. Joachim Poß urteilt: „Wir stellen die Gerechtigkeit in den Vordergrund. Die Koalition die Entlastung.“ Anders als die Oppositionsparteien peilen Union und FDP eine Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark an, die jeweils zu einem Drittel aus der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, der Erhöhung der Mehrwertsteuer und Einsparungen im Haushalt finanziert werden sollen. SPD und Grüne kritisieren, daß durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer vor allem die Kleinverdiener belastet würden. Sie wollen die Steuersenkung ausschließlich über das Schließen von Steuerschlupflöchern, die Beseitigung von Abschreibungsmöglichkeiten, den Abbau von Subventionen finanzieren. Die Konsequenz: Die geringer Verdienenden werden um soviel entlastet, wie die Besserverdienenden mehr zahlen müssen. Christine Scheel: „Es kann sein, daß Großverdiener statt 20 Prozent künftig 40 Prozent Steuern zahlen.“ Die CDU hat dagegen die erklärte Absicht, auch „die Leistungsträger zu entlasten, damit sie nicht ins Ausland abwandern“. Daß sie vor allem das im Sinn hat, haben die Steuerreformen der vergangenen Jahre gezeigt. Der Spitzensteuersatz sank von 56 auf 53 Prozent, die Freibeträge für die Gewerbesteuern wurden erhöht, dafür stieg die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent. 1992 brachte die Einkommensteuer 41,532 Milliarden Mark ein. 1993 nur noch 33,233 Milliarden. Möglicherweise wird dieses Steuergeschenk des Jahrhunderts 1999 durch ein neues abgelöst. Damit das Wirtschaftsmagazin Capital nicht wieder schreiben kann: „Der Staat hat den Leistungsträgern den Krieg erklärt.“

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