■ Querspalte: Medien und Mantra
Die irrsinnige, geradezu tumultartige Geschwindigkeit innerhalb unserer Nachrichtennetze hat schon zu vielerlei Reflexionen, aber auch Irritationen Anlaß gegeben. Am vergangenen Sonntag mußte ich notgedrungen mal wieder darüber nachdenken.
Zufällig war mein Radio den ganzen Tag auf den Deutschlandfunk eingestellt. Als Teilzeitbildungsbürger höre ich den Sender gern. Am Vormittag enterte eine Agenturmeldung die Nachrichten, die von einem Zugunglück in der Nähe von Piacenza (Italien) berichtete, bei dem acht Menschen ums Leben gekommen waren. Dann folgten zwei Sätze über jenen Unfall des Hochgeschwindigkeitszuges „Pendolino“, die ich nicht vergessen kann. Sie setzten sich fest, brannten sich ein, frästen ihre Bahn in meine Gehirnwindungen, als ob es ihre Aufgabe sei, mir in den kommenden drei Tagen als Mantra zu dienen.
„An Bord war auch Ex-Staatspräsident Cossiga. Er blieb unverletzt.“ Diese beiden Sätze hörte ich jede halbe Stunde. Und daß Cossiga später mit den Worten zitiert wurde: „Ich habe nichts gemerkt. Plötzlich gab es einen starken Aufprall, und ich bin zu Boden gestürzt“, ist jetzt unwichtig. Bedeutender sind die Fragen, die ich durch das wiederholte Hören der beiden Sätze gezwungen war zu stellen.
Wie kommt ein unverletzt gebliebener Ex-Staatspräsident Italiens dazu, sich in meine Nachrichten zu drängen? Wäre von dem Unfall, und damit von Cossigas Unversehrtsein, auch berichtet worden, wenn nur zwei Menschen getötet worden wären? Hätte es eine Nachricht über sein Ableben gegeben, wenn er zu Hause an einem Herzinfarkt gestorben wäre? Kann ein Autounfall in Italien, bei dem neun Menschen ihr Leben lassen, im Nachrichtenblock des DLF erscheinen? Hätte man auch formulieren können: „Nicht an Bord war der Ex-Kanzlerkandidat Björn Engholm. Er blieb unverletzt“?
Medienwissenschaftler könnten mir das alles wahrscheinlich genau erklären. Ich aber will noch eine Weile mein Mantra brummen. Dietrich zur Nedden
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