: Entgiftung von innen
■ Von der gründlichen Entschlackung zur gesundheitlichen Eigenverantwortung: Das indische Heilverfahren Ayurveda soll helfen, im Einklang mit sich selbst zu leben
Wenn wir krank sind, gehen wir zum Arzt, eigentlich logisch. Er ist derjenige, der uns gefälligst wieder gesund machen soll. Ist die Krankheit überstanden, machen wir meist weiter wie zuvor, bis bei der nächsten Krankheit das Spiel wieder von vorne losgeht. Der Arzt als wissender Dienstleistender zur möglichst prompten Wiederherstellung des eigenen Wohlbefindens ist auch in Zeiten, in denen sich alternative Medizin zunehmend durchsetzt, noch immer eine Selbstverständlichkeit. Darüber kann man leicht vergessen, daß Gesundheit viel mit dem eigenen Verhalten zu tun hat.
„Bei Ayurveda liegt die Verantwortung für die Gesundheit in der Hand des Patienten“, erläutert Norbert Fischer, einer der wenigen Heilpraktiker, die sich in Deutschland mit dieser alten östlichen Therapieform beschäftigen. Die europäische Naturheilkunde hatte sich für Fischer als zu unzusammenhängend erwiesen: „Ich litt unter Bronchitis und bekam von jedem Arzt einen anderen Ratschlag, was dagegen zu unternehmen sei“, erinnert er sich. In Ayurveda fand er schließlich die Ganzheitlichkeit, die „alle Aspekte des Lebens“ in Betracht zieht.
Ayurveda ist das traditionelle, fast fünftausend Jahre alte Gesundheitssystem Indiens und Sri Lankas. Es basiert auf dem Glauben, daß der Mensch Teil und Abbild des Universums ist, das heißt, daß Mikro- und Makrokosmos untrennbar miteinander verbunden sind. Die Verbindung zwischen Mensch und Universum sind die fünf Elemente Feuer, Erde, Wasser, Luft und Raum, die jedes Lebewesen in sich trägt. Die Elemente stehen hierbei nicht nur für ihre konkrete, materielle Erscheinung, sondern reflektieren sich in der Ernährung, dem Tagesablauf, und auch Bewegung und Alter unterliegen diesem Prinzip. Kommt es zu einem Ungleichgewicht der Elemente, reagiert der Körper mit Störungen. Ziel der ayurvedischen Heilslehre ist es, den Körper durch eine gezielte Behandlung, einen Ausgleich der Elemente und ein erlerntes Bewußtsein für die eigenen Bedürfnisse, in Einklang mit sich und der Natur zu bringen.
Ayurveda ist Weisheit und Wissenschaft zugleich. In Sri Lanka geben die weisesten Ärzte seit Jahrzehnten und Generationen ihr Wissen über das alte Heilverfahren weiter. Trotzdem braucht die EuropäerIn nicht zu verzagen in Anbetracht der Fülle von Wissen, das zum grundlegenden Verständnis von Ayurveda erforderlich ist. Norbert Fischer bietet in Sri Lanka in Zusammenarbeit mit einheimischen Ärzten und HelferInnen eine dreiwöchige Panchakarma- Kur an, die in die Grundzüge von Ayurveda einführt und persönliche, vor allem chronische Leiden wie Rückenschmerzen, Stoffwechselkrankheiten oder Hautprobleme therapiert.
Zunächst wird der Körper einer gründlichen Entgiftung unterzogen. Dabei geht es um Entschlackung einerseits und die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Verdauungssystems andererseits. Im Gegensatz zu herkömmlichen Fastenmethoden wird hier jedoch nicht auf Nahrungsaufnahme verzichtet. Leichte Kost und der „ayurvedische Champagner“, abgekochtes, lauwarmes, mit Ingwer angereichertes Wasser, lassen das „Verdauungsfeuer“ nicht erlöschen. Dadurch wird der sogenannte Yoyo-Effekt vermieden, der bei normalem Fasten oft dazu führt, daß die erzielten Erfolge nach Beenden einer Kur sofort wieder verschwinden.
Drei Wochen lernen TeilnehmerInnen der Panchakarma-Kur, was es bedeutet, „im Einklang mit sich selbst zu stehen und eins mit der Natur zu sein“, wie Norbert Fischer den ayurvedischen Gesundheitsbegriff definiert. Neben einer Eingangsdiagnose durch einen Arzt nach ayurvedischen Kriterien und einer kontinuierlichen Beratung und Behandlung mit organischen, ayurvedischen Medikamenten sorgen Yoga und stundenlange Massagen mit duftenden Ölen für das körperliche und seelische Wohlbefinden der Patienten. Bei der Vollverpflegung lernen die TeilnehmerInnen auch die Küche nach ayurvedischen Prinzipien kennen: Die Speisen werden für jeden Teilnehmer individuell zusammengestellt und enthalten die Geschmacksrichtungen süß, sauer, scharf und zusammenziehend. Nach dreiwöchiger Kur ist der gestreßte Körper wieder in Balance und der Patient um das Grundwissen der indischen Heilslehre reicher.
Doch eigentlich beginnt an diesem Punkt erst das Prinzip der Eigenveranwortung des Gesundeten. In seiner Hand liegt nun der Erhalt seines körperlichen und seelischen Gleichgewichts. Und das bedeutet eine Art von Disziplinierung, die vielen EuropäerInnen nicht leicht fällt. Schließlich duldet die ayurvedische Lehre weder Alkohol noch Zigaretten, und auf Fleisch wird ebenfalls weitgehend verzichtet.
Entscheidend für die Erhaltung der Balance ist der Wille des einzelnen. Ayurveda ist kein Dogma und keine Religion, die Weiterführung von Ernährungsweisen und gesundheitlichen Praktiken bleibt jedem selbst überlassen. Kein Arzt kann einem die Verantwortung gegenüber dem eigenen Körper abnehmen. Vielleicht ist es genau diese Erkenntnis, die eine ayurvedische Therapie so außergewöhnlich macht. Heike Blümner
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