: Das Elend der Schöpfung
Skandal: „Larry Flynt: Die nackte Wahrheit“ von Milos Forman ist nicht für den Oscar nominiert worden. Heute läuft er im Wettbewerb ■ Von Anke Westphal
Wenn etwas reichlich bescheuert klingt und zudem noch anstrengend, so muß es doch lehrreicher Unterhaltsamkeit nicht entbehren. Wie das Recht, sich – nun ja – selbst auszudrücken. Larry Flynt, ein strutzarmer Bengel aus Kentucky, setzte dieses Menschenrecht für seine Person durch, indem er den Hustler, ein nicht gerade subtiles erotisches Magazin, gründete und fortan gegen all diejenigen vor die Gerichte ziehen mußte und zog, die ihm sein individuelles Ausdrucksrecht vermasseln wollten. Milos Forman hat in Larry Flynts Biographie einen großartigen Filmstoff erkannt, den er in einen großartigen Film überführte.
Wer behauptet, daß Politik nicht komisch sei, sollte unverzüglich die Klappe halten. „Für eure Pressefreiheit gehe ich ins Gefängnis“, schmettert Larry Flynt den Vertretern der seriösen Presse entgegen, die den Ausgang von Flynts Prozessen stets vornehm abwarten, um seinen Erfolg dann für sich auszubeuten. Larry Flynt ist weder von Größenwahn noch Prätention angekränkelt; dieser komische und anstrengende Mann (klasse: Woody Harrelson!) wollte nie ein zweiter Murdoch oder Hearst sein. Er gibt den Leuten, was deren Primärtriebe ohne Umschweife freut, und halst sich damit unversehens gleich zwei Rollen auf: Clown und – damit hat Flynt nicht gerechnet – Gladiator im Medienzirkus.
Flynt probt im Gerichtssaal große Auftritte, und weil er dafür auch noch viele Lacher erntet, folgt Rache: Macht kennt keinen Humor. Larry Flynts Leben läuft ab wie ein Stationendrama: Arm geboren, reich geworden, angefeindet, christlich erweckt, getauft und doch wieder abgefallen vom Glauben, nach einem Attentat gelähmt und wieder aufgerappelt, und immer, immer die große Liebe. Larry Flynt ist Jesus am Fleischeskreuze. Pathos? Winkende Zaunpfähle?
In „Larry Flynt“ gibt es einen Bilderreigen, der Kriegsfotos auf das hastigste mit Sexfotos überschneidet. Wahrer und knapper könnte man das Elend der Schöpfung nicht abbilden. Denn dieser doch bescheiden bleibende Ehrgeiz, mit dem Flynt das Äußerste an Spaß und Erfolg aus seinen Neigungen herausholt, muß den halbwegs intelligent fühlenden Zuschauer einfach ergreifen.
Als Larry reich wird, stellt er seinen Reichtum aus wie jeder Emporkömmling: Flynts 24-Zimmer- Haus gerät zu einer unglaublichen Plüschhöhle, selbst Jeff Koones wäre erschüttert. Seine endlose Liebe zur bizarren, drogensüchtigen Althea (phantastisch: Courtney Love) und ihre endlose Liebe zu ihm wirken wie die zärtliche Symbiose zweier gerupfter Hühner. Nie macht sich Milos Forman lustig über Flynts besonderen Geschmack oder Altheas Hexenlachen, nie degradiert er ihren speziellen Weg ins Leben zur Freakshow. Man möchte heulen und ist gleichzeitig dankbar, weil es so viele Möglichkeiten gibt, den Begriff „Glück“ durchzubuchstabieren. „The People Versus Larry Flynt“ ist ein Film über die Liebe, aber mehr noch einer über die Toleranz, die – und das ist das Tragische an der Sache – Flynt lebt.
Der echte Larry Flynt, dessen bockige Besessenheit Formans Film strukturiert wie eine Dauer- Pirouette, machte sich selbst ein Geschenk: Er spielt in einer Gastrolle den schweinchenfetten Richter Morrissey, der ihn seinerzeit im wirklichen Leben wegen unchristlicher Pornographie verurteilt hatte. O, Larry Flynt, einen Mann mit deinem Humor würde ich zu gern treffen! Zuletzt noch eines. Ich sage nur: VERLEIH. Das wird Playboy- und Praline-Leser schon ins Kino ziehen, muß sich gedacht haben, wer diesem großartigen Film einen solchen Titel antat: „Larry Flynt: Die nackte Wahrheit“. Die nivellierende Dämlichkeit deutscher Verleihtitel ist unübertroffen.
„Larry Flynt: Die nackte Wahrheit“. Regie: Milos Forman. Mit: Woody Harrelson, Courtney Love u.a. USA 1996. 120 Min.
Heute, 20 Uhr Zoopalast; 16.2. 12 Uhr Royal Palast, 18.30 Uhr Urania, 22.30 Uhr International
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen