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Fünf vor zwölf

■ Berishas Norden gegen den rebellischen Süden: Albanien droht inzwischen der Zerfall

Albanien mußte an den Rand des Bürgerkrieges kommen, ehe man in den EU-Ländern zur Kenntnis nimmt, was man längst wissen mußte: Präsident Berisha, der Mann des Westens, ist ein Machtpolitiker, der über Leichen geht.

Bei der Sitzung des albanischen Parlaments, das Berisha erneut zum Präsidenten wählte, saßen die EU-Diplomaten geschlossen auf der Empore. Im Gegensatz zum abwesenden Botschafter der USA demonstrierten sie ihre Bereitschaft, noch fünf nach zwölf über das flächendeckende Sündenregister des Regimes hinwegzusehen: über den Wahlbetrug von 1996, die Angriffe auf Rechtsstaat und Pressefreiheit, die Korruption, die Verflechtung der Demokratischen Partei mit den Geldpyramiden, deren Crash die naiven Hoffnungen eines ganzen Volkes verschüttete.

An Warnungen hatte es nicht gefehlt. OSZE-Beobachter hatten den Wahlbetrug aufgedeckt, die Weltbank seit Monaten das Verbot der Geldfirmen gefordert. Alle wußten, daß das „albanische Wirtschaftswunder“ auf Treibsand gründet, denn Mafiagelder, Auslandshilfe und die Überweisungen albanischer „Gastarbeiter“ ersetzen keine produktiven Investitionen. Der Mann auf der Spitze dieser fragilen Sozialpyramide genoß die Gunst des Westens aus einem einzigen Grunde: Er versprach, den großalbanischen Bestrebungen im Kosovo und in Makedonien entgegenzutreten.

Diese Politik hat ein Ergebnis, dessen Ironie erheiternd wäre, wenn sie nicht zu Lasten der Albaner ginge. Der Garant gegen ein Projekt „Großalbanien“, das die Grenzen in der ganzen Region ins Rutschen bringen würde, hat alle Mühe, den Zerfall seines Staates in kleinalbanische Fürstentümer zu verhindern. Jetzt zeigt sich, daß die EU-Paten eine weitere Sünde Berishas übersehen haben: Er etablierte die Herrschaft einer regionalen Clique und gefährdet damit die Einheit des Landes.

Sali Berisha stammt aus dem nordalbanischen Tropoje nahe der Grenze zum Kosovo. Als Sohn eines Parteifunktionärs machte er medizinische Karriere mit einem Auslandsstipendium, das nur regimetreue Kader erhielten. Seine Demokratische Partei, 1990 nach Zulassung des Mehrparteiensystems gegründet, wurde zum politischen Machtblock des Nordens, der den stark im Süden verankerten Kommunisten den Kampf ansagte. Als er nach dem Wahlsieg der DP im April 1992 Präsident wurde, machte Berisha den Staatsapparat zur klientelistischen Beute des Nordens. Die Polizei und der neue Geheimdienst wurde mit tatendurstigen jungen Männern aus Berishas engerer Heimat aufgefüllt. Die sind im Süden Albaniens ebenso an ihrem Dialekt erkennbar wie die verarmten Familien aus dem Norden, die sich seit Jahren mit Regierungshilfe im Süden ansiedeln. Auch das verstärkte die traditionelle Polarisierung zwischen Norden und Süden.

Gewiß ist die Rebellion gegen Tirana – vor allem an der Küste – auch eine Automomiebewegung lokaler Mafiazirkel. Der Süden ist durch den Zusammenbruch der Zinspyramiden schon deshalb stärker geschädigt, weil er mehr Geld hineinstecken konnte. Aber dieses Geld wurde überwiegend von albanischen Wanderarbeitern in Griechenland und Italien verdient. Der Süden wird sein ökonomisch unterfüttertes Sonderbewußtsein auch dann nicht verlieren, wenn man ihn militärisch zurückerobern oder aushungern sollte. Schon deshalb muß die EU darauf hinwirken, in Tirana eine Regierung aller politischen Kräfte zu bilden, die Neuwahlen unter internationaler Aufsicht garantiert. Nur so ist Albaniens Einheit neu zu legitimieren. Niels Kadritzke

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