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■ VorschlagGitarröser Eklektizismus vom Feinsten: Gary Lucas im Franz

Ein Mann und seine Gitarre. Genau der richtige Stoff für Geschichten, Mythen und Legenden. Nicht aber für Gary Lucas: Der ist zwar einer der besten, souveränsten, sensibelsten, filigransten und was weiß ich nicht alles Gitarrenspieler around the world, doch lieber hält er es damit, obengenannten Stoff zu zerstören oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Jedenfalls kann man Lucas nur schwer in die handelsüblichen Kategorien einordnen, und wenn man glaubt, man hätte ihn an irgendeiner Saite gepackt, dann musiziert er schon wieder auf einem anderen Terrain. Lucas bewegt sich zwischen Jazz und Rock – nicht Lincoln Center, sondern Knitting Factory, weniger Klassikrock als CBGBs – zwischen Country, Klezmer und manchmal auch großer Oper. Und so perfekt er auch an der Gitarre mit diversen Sounds umzugehen weiß: Ihm geht es meist um die skurrilen, abgedrehten und überraschenden Momente, um Momente, die jedweden falschen Gefühlsrausch sofort im Keim ersticken.

Was natürlich ein Grund mehr ist für die Schwierigkeiten, den Mann zu irgendeiner Art von Popstar hochzujazzen. So muß dann zumeist Lucas' Vergangenheit als Gitarrist bei Captain Beefhearts Magic Band als Steigbügel für seine Popularität herhalten oder auch die zahlreichen, oft berühmteren Musiker, mit denen er schon gearbeitet hat: Jeff Buckley, Nick Cave, Joan Osborne, Lou Reed, Iggy Pop, die Woodentops usw. Eine richtige Indie-Rock-Allstar-Band hatte er übrigens auch mal: Dort fabrizierte Lucas zusammen mit Joan Langford (Ex-Mekons) und Tony Mainome (Ex-Pixies, Ex- Pere-Ubu) einen mal abgehangenen, mal coolen, mal holterdiepoltrigen Rock, der sogar Mitgrölpotential enthielt. Doch irgendwie kam es zwischen den drei Herren auf einer Deutschlandtour zu Kabbeleien und Gezänk, so daß auch die Killer Shrews für Lucas nicht mehr als eine Episode in seinem bewegten Musikerleben waren.

Am besten ist es, man hält sich an seine Solo-Alben, denn diese bieten gitarrösen Eklektizismus vom Feinsten. Auf „Evangeline“, seinem kürzlich veröffentlichten vierten Album, vergreift sich Lucas u.a. an Motiven aus Wagners „Lohengrin“ und „Tannhäuser“, an einer Ballade des bekannten Schanghaier Popsängers Bai Kwong (von 1940) oder an einem der größten Hits der „Chinese sensation“ Chow Hsuan (von 1937); und Blues, Cajun oder Mister Sun Ra vergißt Lucas auch nicht. So fördert er auf „Evangeline“ einiges aus dem Kuriositätenkabinett zutage, um es auch unter seinen Fingern zu großer Musik werden zu lassen. Sehr schön das alles, und ganz entspannt vergißt man dann kurzerhand die paar lächerlichen und alltäglichen Rock- und Indie-Rock-Krisen. Gerrit Bartels

Heute, 22.30 Uhr, Franz-Club, Schönhauser Allee 36-39

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