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Bunsenbrenners Erben

Jetzt kommt das Internet zu Ihnen: Die Presse verkündet „Push statt Pull“ als Evangelium, weil es die alte Hierarchie wiederherstellt  ■ Von Tilman Baumgärtel

Es ist das ungewöhnlichste Zeitschriftencover dieses Monats: Auf der amerikanischen Computerbibel Wired prangt auf rotem Hintergrund eine blaue Hand, die sich dem Betrachter förmlich ins Gesicht drückt. Darauf steht in fetten Lettern: „Stopp! Wir unterbrechen dieses Magazin für eine wichtige Durchsage – PUSH!“

„Push“ heißt, daß die Schwierigkeiten, die die Medienindustrie mit dem Internet hat, gelöst werden können. Nichts weniger als das wird auf den nächsten zwölf Seiten von Wired, dem selbsterklärten „Zentralorgan der digitalen Revolution“ behauptet.

Denn die traditionellen Medien haben mit dem Internet ein Riesenproblem: Ihre Angebote sind zwar im Internet, aber sie gehen in der endlosen Datenflut des Netzes einfach unter. Es mag ja sein, daß Leute im Internet herumsurfen, aber sie surfen halt auch an vielem vorbei. Besonders dort, wo das Wall Street Journal und der Spiegel gleichberechtigt neben Sites, die von einem einsamen Computerbastler in seinem Schlafzimmer gebaut werden. Und oft sind es gerade diese Bastler, deren Internetangebote am häufigsten angeclickt werden.

Wie eine Zeitung vor der Haustür

Doch was für die traditionellen Medien noch viel schlimmer ist: Im Netz gibt es weder Auflagen wie bei einer Zeitung, noch eine Quote wie im Fernsehen. Darum gilt das Internet als „Pull-Medium“. Die Leute müssen also selbst los, anstatt Informationen geliefert zu bekommen.

Das macht es schwierig, für Internetangebote Werbung zu akquirieren. Anzeigenkunden wollen genau wissen, wieviel sie für tausend Augenkontakte zahlen müssen. Doch im Internetmedium eine feste Zahl von Usern anzugeben, ist nahezu unmöglich. Was kann man also tun, wenn man mit einem Internet-angebot Geld verdienen will? Man liefert den Leuten den Kram ins Haus. Wie eine Zeitung, die jeden Morgen vor der Tür liegt. Wie ein Fernsehprogramm, das verläßlich jeden Abend mit der Glotze empfangen werden kann. Man „pusht“ also.

So sind in den letzten Monaten eine Reihe von amerikanischen Software-Unternehmen ans Netz gegangen, die genau das versuchen: Sie liefern Information auf den Computerbildschirm. Sie verbreiten Inhalte über das Internet (push) statt darauf zu warten, daß im World Wide Web jemand vorbeisurft (pull). Firmen wie PointCast und Marimba, Backweb und Intermind bieten Software an, durch die man per Computer multimediale Informationen empfangen kann. Auch Online-Dienste wie AOL und das Microsoft Network wollen sich in Zukunft verstärkt am Modell des Fernsehens orientieren: Statt Tausenden von Internet-Sites soll es eine Handvoll „Kanäle“ geben, über die Informationen zu bestimmten Interessengebieten auf dem Monitor gepusht werden, samt maßgeschneiderte Werbung. AOL hat dafür sogar Brandon Tartikoff, einen ehemaligen MTV-Manager eingestellt, der das Angebot Couchpotato-kompatibel machen soll.

Wireds „Push-Manifest“ wurde von anderen Printmedien begeistert aufgenommen – auch in Deutschland. Die Zeitschriften und Sonderhefte, die anläßlich der CeBit erschienen, verkündeten alle das „Push“-Evangelium. Und im stern war sogar zu lesen, daß das Netzsurfen „so einfach wie Fernsehen“ wird. Auch Focus Future hat die Zukunft der „Datenwüste Internet“ bereits gesehen und titelte: „Das Internet geht auf Sendung“. Und die Wirtschaftswoche widmete dem „Web-Funk“ gleich eine langatmige Titelgeschichte, samt einem Interview, in dem Knut Föckler, Geschäftsführer des deutschen Microsoft-Networks, die frohe Botschaft vom Massenmedium Internet verbeitet: „Die Online-Welt wird auf nichts verzichten müssen. Es wird Stars und Shows im Internet geben.“

Ein Grund für den Hype um das neue „Push-Medium“ dürfte das Renommee von Wired sein, das von vielen Journalisten offenbar als Nachfolger des Versuchslabors von Professor Honigtau Bunsenbrenner aus der „Muppets-Show“ betrachtet wird: ein Ort, „an dem die Zukunft schon heute gemacht wird“. Obwohl die Behauptung, daß sich die Online-Welt mit Begeisterung auf die neuen „Push- Dienste“ stürzen wird, noch kaum zu belegen ist, tun die meisten Journalisten einfach mal so, als ob sie praktisch schon durchgesetzt seien.

Es scheint, als biete die „Push- Metapher“ den Journalisten endlich wieder ein Distributionsmodell, das sie verstehen. Denn das Internet und die eigenständige Art, wie seine User mit ihm umgehen, ist vielen Journalisten, die mit den traditionellen Medien aufgewachsen sind, ein Greuel.

Redakteure dulden keinen Widerspruch

Ein Medium, bei dem die User sich selbst zusammensuchen können, was sie interessiert, statt es von einem „Leitmedium“ vorgekaut zu bekommen – eine für die Traditionspresse unverständliche Vorstellung. Und daß die Internet- User dann auch noch „interaktiv“ reagieren können, ist für viele Redakteure, die es gewohnt sind, ihre Weisheiten unwidersprochen zu verkünden, besonders schwer zu schlucken. Wohl deshalb hat die „Push-Idee“ bei den Printmedien dermaßen eingeschlagen. Ein Dienst, der den Usern Informationen frei Haus liefert, entspricht dem Modell von Massenmedien, mit dem die meisten Journalisten aufgewachsen sind. Wem das nicht paßt, der kann ja einen Leserbrief schreiben.

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