: "Der Osten wird unwirsch"
■ Bernd Wagner von der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule in Potsdam, über die neuen Entwicklungen des ostdeutschen Rechtsextremismus
taz: Wodurch unterscheidet sich die heutige rechtsextremistische Szene in Ostdeutschland zu der vom Anfang der neunziger Jahre?
Bernd Wagner: Damals war Rechtsextremes stärker auf Gruppen begrenzt, die sich selbst als Subkultur begriffen – und sich selbst als Faschos bezeichneten. Sie rekrutierten sich aus den mittelgebildeten Arbeiterschichten. Heute ist das anders. Viele völkische Vorstellungen sind inzwischen in breite Bereiche der Jugendszene eingesickert. Wir haben mehr und mehr Gymnasiasten, die eine intelligentere Aneignung von Ideologie vollziehen können, die stärker Gesellschaftskritik üben und Visionen entwickeln.
Wie vermittelt sich diese Entwicklung?
Zunächst werden Ideologiefragmente über nationalsozialistische Kaderorganisationen in eine breite Szene hineingetragen. Zum andern aber auch über Kultur, zum Beispiel in Gestalt von CD-Produktionen der Rechtsrockbands, aber auch rechtsextreme Liedermacher mit nationalsozialistischem Liedgut. Ein Teil der Erwachsenen trägt diese rechten Vorstellungen mit und verurteilt die ausländerfeindliche Gewalt nicht eindeutig.
Welche Konsequenzen hat dieser Prozeß?
Die Bekämpfung dieser Milieus wird schwieriger, weil sie nicht an eine Organisation oder ein Programm gekoppelt ist.
Offenbar ist Rechtsextremismus nicht mehr mehr auf randständige Jugendlicher beschränkt. Sind damit nicht die Konzepte, die darauf setzten, diesen Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, hinfällig?
Natürlich gibt es weiterhin Jugendliche, die orientierungslos sind – auch rechtsextreme. Aber richtig ist, daß rechte Jugendliche keineswegs durchaus eine Orientierung haben – eine rechtsextreme natürlich. Da sie auf eben diesen Wertekanon schwören, ist es schwer, ihnen durch sinnstiftende Angebote eine andere Orientierung zu geben. Bildung und Sozialarbeit sind häufig überfordert.
Kann man überhaupt noch etwas tun?
Durch die Köpfe von Politikern, Polizeiführern und Schulleitern geistern illusionäre Vorstellungen. Es fehlt an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem, was ich als soziokulturellen Block des Rechtsextremismus bezeichne. Häufig können sich der Verfassungsschutz und andere Einrichtungen die Aktionsmuster der Jugendlichen nicht erklären. Es herrscht eine Fixierung auf Parteien und parteiähnliche Organisationen vor. Das ist zwar legitim, sie reicht aber nicht mehr aus.
Die Reaktionen gegenüber rechtsextremistischen Übergriffen sind weniger aufmerksam als noch vor drei, vier Jahren. Womit hängt das zusammen?
Viele dieser rechtsextremistischen Haltungen wirken nicht mehr tabuverletzend. Die Denkmuster werden nicht mehr als problematisch empfunden. Da haben sich Grenzen verschoben.
Irgendwann wird das interessierte Publikum eben müde.
Ein Fehler. 1999 steht die Währungsunion vor ihrer Einführung. In der Folge wird es zu einer größeren Migration von Arbeitskräften kommen. Die Angriffe auf EU- Ausländer deutet ja bereits auf Ressentiments hin, die weit über die Frage der Asylbewerber hinausgehen. Die etablierte Politik hat noch gar keinen prognostischen Blick dafür, was für eine völkische Bewegung sich gegen den Euro und die europäische Einigung formiert.
Wie massiv sind die Ressentiments gegenüber den Arbeitern aus der EU?
Sie sind stark und können die Form einer neuen sozialen Bewegung annehmen. Die Politik muß diese völkische Bewegung auch auf der Ebene der Alltagskultur eindämmen.
Gibt es dabei einen Unterschied zwischen Ost und West?
Ja. Im Westen sind die Tabugrenzen wesentlich höher gezogen. Seit 1949 sind dort Traditionen gewachsen, die es in dieser Form in Ostdeutschland nicht gibt. Es gibt im Osten auch keine dezidiert demokratische Kultur, die es gelernt hat, mit andersartigen Menschen umzugehen.
Was wäre notwendig, um die Attraktivität für Pluralismus und die offene Gesellschaft zu steigern?
Wichtig ist, daß die Politik wieder zum Bürger vordringt und diesen in den Politikbildungsprozeß integriert. Vor allem kommunal.
Welche Rolle spielt die Betonung der DDR-Identität bei der Ablehnung vieler Dinge, die man unter „westlich“ faßt?
Man spürt die antiwestlichen Ressentiments in vielen Äußerungen aus dem Osten. Diese können völkische Ideen, die jenseits westlicher Werte liegen, stärker akzentuieren. Das Ergebnis kann eine neonationalsozialistische Orientierung sein, die von einem utopischen Deutschlandbegriff ausgeht und zum Beispiel Rassereinheit fordert. Das könnte als Kapitalismuskritik gegen die westliche Demokratie daherkommen. Sehr viele Ostdeutsche spüren, daß in Bonn keine Bereitschaft besteht, den Osten mit in den Fortschritt einzubeziehen. Sie merken das und werden deshalb unwirsch. Interview: Eberhard Seidel-Pielen
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