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Geschichte mit Gauweiler

■ Verbrechen der Wehrmacht finden sich auch in bayerischen Geschichtsbüchern. Eine Recherche und ein Nachtrag zum Umgang mit der Wehrmachtsausstellung

Kürzlich ließ der Münchner CSU-Chef Peter Gauweiler per Post einen vierseitigen Brief an alle Münchner Haushalte verschicken. Darin wirft er der „sogenannten Wehrmachtsausstellung“ vor, sie würde die deutschen Soldaten „generell herabwürdigen“. Den Ausstellungsmacher Hannes Heer, der nach jahrelangen Archivarbeiten wohl besser über die Taten der Wehrmacht an der Ostfront Bescheid weiß als ein französischer Staatspräsident, hält Gauweiler für „nicht qualifiziert“. Denn Hannes Heer sei, schreibt Gauweiler, „als zeitweiliges DKP-Mitglied in Erscheinung getreten“ und sei „verurteilt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung“. (Mittlerweile hat Heer beim Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung durchgesetzt, nach der Gauweiler die „gefährliche Körperverletzung“ nicht mehr behaupten darf, weil Heer deshalb nie verurteilt wurde.)

Nur einen Satz auf den insgesamt vier Seiten widmet Gauweiler dem Thema, um das es eigentlich gehen müßte: „Niemand bestreitet ernsthaft, daß es unter der Wehrmachtsverantwortung auch schwere Kriegsverbrechen gegeben hat.“ Schon mit dieser Formulierung vermeidet Gauweiler die Nennung von Tätern, und wieder ist hier das übliche Muster der Beschwichtigung festzustellen: Man spricht über tatsächliche oder vermeintliche Schwächen der Ausstellung, um nicht über die Verbrechen der Wehrmacht sprechen zu müssen.

Ein Blick in ein Schulbuch. „Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 13“, seit 1994 an bayerischen Schulen zugelassen. Die nationalsozialistische Besatzungspolitik, schreibt der Autor Manfred Franze, „war in Osteuropa von Anfang an vom Willen zur rassischen Vernichtung getragen“. Ein paar Zeilen weiter unten erklärt Franze die Rolle der Wehrmacht: „Der nationalsozialistische Volkstumskampf steigerte sich in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion zum rassischen Vernichtungskrieg, wobei nun auch die Wehrmacht an der Seite der SS bereitwillig Erfüllungshilfe leistete.“ Unten auf der gleichen Seite: das Foto des Soldaten, der mit gestrecktem Arm eine Pistole auf angeschossene serbische Geiseln richtet – jenes Bild, das dem Spiegel kürzlich als Vorlage für den Titel diente.

Ist es schwierig, solche klaren Sätze in einem bayerischen Schulbuch zu schreiben? Nein, sagt Rudolf Berg, der in seinem Band „Grundkurs Geschichte 13“ (Cornelsen Verlag) ganz ähnlich formuliert: „Geltendes Kriegsrecht und traditionelle Moralvorstellungen wurden außer Kraft gesetzt. Damit war die vorher und andernorts geltende Trennung von Militär- und SS-Bereich beseitigt. Die Militärs wurden zum Vollstrecker der NS-Politik in Rußland.“ Problemlos sei diese Passage vom bayerischen Kultusministerium genehmigt worden: „Man hat daran keinen Anstoß genommen.“ Auch daß er den grauenerregend brutalen Kommissarbefehl der Wehrmacht aus dem Jahr 1941 ausführlich zitiert („In diesem Kampf ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch“), habe niemand bemängelt, sagt Berg.

Daß diese Darstellungen nicht selbstverständlich sind, ahnt man, wenn man in Schulbüchern aus den fünfziger und sechziger Jahren blättert. Der Autor von „Europa und die Welt 1815 bis 1953“, erschienen 1954, fragt vor allem, warum der Krieg im Osten verloren ging („Hitler mißachtete den Rat seiner Generäle und ließ keine Winterausrüstung bereitstellen“); sein Urteil über die Wehrmacht ist nur positiv: „Hitlers Heere wurden trotz technischen Talents, Intelligenz und Tapferkeit geschlagen.“ Das gleiche Muster findet sich im Band „Neueste Zeit“: Hitler habe sich über die Durchführbarkeit des Rußlandkrieges „maßlosen Täuschungen“ hingegeben; „wie Napoleon hatte er die Macht des Raums nicht genügend berücksichtigt, ebensowenig die Unerschöpflichkeit seiner Menschenmassen“.

Wenn die Geschichtsbücher der neunziger Jahre so anders klingen, liegt dies vor allem am genauen Blick, den die Historiker in den letzten Jahrzehnten auf die Wehrmacht wagten. Manfred Messerschmidts Band „Wehrmacht im NS-Staat“ liegt schon seit 1969 vor, Einzelstudien folgten in den siebziger und achtziger Jahren, und mittlerweile ist dieses Wissen in den Handbüchern angekommen. Wir wissen, schreibt Klaus Hildebrand 1991 in seinem Forschungsüberblick, „umfassender als zuvor, in welchem Ausmaß die Wehrmacht in die rassenpolitischen Vernichtungsaktionen der Sicherheitspolizei und des SD verstrickt war“.

Daß das allerdings kein einfacher Weg war, läßt sich wieder am erwähnten Kommissarbefehl zeigen. Wolfram Wette hat in einem Zeit-Gespräch beschrieben, wie mühsam der Prozeß war: „Am Anfang wurde gesagt: Den gab es gar nicht. Dann hat man das Dokument hergezeigt, und dann hieß es: Aha, es gab ihn doch – er wurde aber sicher nicht weitergegeben an die Divisionen im Osten. Dann brachte man die Dokumente bei mit den Divisionen als Adressaten. Da wurde gesagt: Ja, das ist in der Division aber nicht weitergegeben worden. Dann hat man belegen können, daß sie weitergegeben wurden, und da wurde gesagt: Man hat aber den Befehl nicht ausgeführt. Dann sind auch die Dokumente beigebracht worden, daß bestimmte Tötungsmeldungen nach oben gegangen sind.“

Seinen Rundbrief schließt Peter Gauweiler mit einem Versprechen: Er wolle sich auch in Zukunft „für das furchtlose Nachdenken über Zukunft und Vergangenheit des eigenen Volkes“ einsetzen.

Sein Vater Otto Gauweiler (geboren 1910, gestorben 1969) hat, wie die Abendzeitung kürzlich publik machte, im Jahr 1939 über die NS-Rechtspolitik promoviert. Von „rassisch unerwünschten und lebensunwerten Volksgenossen“ schreibt Otto Gauweiler darin, vom Führerwillen als oberstem Gesetz, von der Weimarer Republik als „Ausgeburt tiefer menschlicher Verirrung“. Ein paar Monate nach der Doktorarbeit ging Otto Gauweiler nach Polen und arbeitete in der Naziverwaltung des überfallenen Staates.

Mag sein, daß es sich über das eigene Volk leichter nachdenkt als über die eigene Familie; jedenfalls besteht Gauweilers einzige Reaktion auf diese Feststellungen in einem Leserbrief, in dem er karge Fakten aufzählt: Sein Vater sei bis 1941 in der Verwaltung in Polen gewesen, habe sich danach zur Wehrmacht gemeldet, sei im Krieg verletzt worden und nach dem Krieg als Mitläufer verurteilt.

Mag sein, daß meine Fragen nicht geeignet sind, öffentlich beantwortet zu werden: Hat Peter Gauweiler mit seinem Vater über dessen Erlebnisse an der Front gesprochen? Hat der Vater darunter gelitten, hat er geschwiegen, oder hat er beschönigt? Wieviel von Peter Gauweilers Reaktionen sind kalkulierte Politik, um rechtsaußen Stimmen zu holen – und wieviel ist seine ganz private Angst, den Vater in Frage zu stellen?

Mag sein, daß ihm auch graut vor dem ungeheuer dummen Verdikt der Öffentlichkeit: „Wie der Vater, so der Sohn.“ Doch die Fragen bleiben. Und seine Sekretärin erklärt uns knapp: „Der Herr Gauweiler wünscht generell kein Gespräch.“ Felix Berth

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