: Hallo Woodstock, danke schön!
■ Auf den Spuren Michael Jacksons Frieden auf Erden suchen: In der Berliner Deutschlandhalle missionierte das US-HipHop-Trio The Fugees Vorschulkinder
Erstaunlich friedlich und ruhig geht es auf dem Weg in die Deutschlandhalle zu. Kein Stau auf dem Messedamm, kein Gedränge, kein Gegröle, keine fliegenden Büchsenbierverkäufer. Eine Halle, die sechstausend Leute faßt, scheint selbst für die Fugees eine Idee zu groß zu sein. Trotz „Killing Me Softly“ und „No Woman, No Cry“, den beiden Hits, mit denen die Fugees US-HipHop auch in Europa mainstreamkompatibel gemacht haben.
Wer nun den durchschnittlichen Phil-Collins-Hörer erwartet hatte, wurde beim Blick durchs weite Rund schnell eines besseren belehrt. Überwiegend brave Kids warten gespannt auf die drei US- Rapper. Zum Teil sind sie noch im Vorschulalter und werden begleitet von besorgten Eltern, die einem meiner Begleiter sogar das Kiffen verbieten wollen.
Nachdem ein kleines Feuerwerk ihr Kommen angekündigt hatte, beginnen die Fugees wie üblich ihre Show mit einem DJ-Set, mit dem sie Rap-Kollegen wie dem Wu-Tang Clan, wie Busta Rhymes oder Naughty By Nature ihren Respekt zollen. Als dann Wyclef, einer der beiden männlichen Rapper, „No Woman, No Cry“ intoniert und dazu mit der Gitarre in bester Jimi-Hendrix-Manier post, tauchen die ersten Lichterketten auf. Hallo Woodstock, danke schön, denkt man da, und das Publikum wiegt sich selig im eigenen Wohl- und Gemeinschaftsgefühl.
Lauryn Hill steht da noch gar nicht auf der Bühne. Als sie kommt, stutzt man zuerst über ihr ganz und gar unglamouröses Äußeres. Doch Hill ist schwanger, und eine Latzhose scheint da genau das richtige Bekleidungsstück zu sein. Überhaupt gibt ihre Schwangerschaft das Motto dieses Abends an: „We are the children, we are the world, we shall overcome.“ Bei den Fugees soll HipHop generations- und völkerverbindend sein. Auch nicht einen Moment spürt man bei ihrem Konzert etwas von den Auseinandersetzungen in der amerikanischen HipHop-Community, von Depressionen und Wahnvorstellungen, die sich nach den Morden an Tupac Shakur und Notorious B.I.G. entwickelt haben.
Die Fugees decken das alles mit Nächstenliebe und Peacefulness zu. Den beiden HipHop-Toten widmen sie ihre Version von „Knocking On Heaven's Door“ (!). Und obwohl die Lyrics aus dem Mund von Wyclef als klasse Ragga-Skills rüberkommen, balancieren sie jetzt nahe an der Grenze zum Kitsch. „Rest in peace“ skandieren sie, das Publikum wird aufgefordert, den Refrain mitzusingen (was leidlich mißlingt), und Lauryn Hill versucht, obwohl sie es definitiv besser weiß, HipHop mit den Worten „It's all about music“ in einen simplen Entertainment-Zusammenhang zu bringen.
Jedenfalls wissen die Fugees, mit wem sie es in Europa zu tun haben. Reichlich routiniert spulen sie ihr Programm ab, spielen ihre Hits, spielen „Guantanamera“, gestehen ihre Liebe zu Berlin und lassen die jungen Menschen, was bei HipHop-Konzerten noch immer am besten kommt, die Hände in die Höhe werfen.
Irgendwann ist man in der Tat milde gestimmt, möchte die Umstehenden und am liebsten die ganze Welt umarmen und küssen. Aber auch Ahnungen an Michael Jackson und seinen heroischen Einsatz für die Kinder dieser Welt, die einen immer wieder beschleichen, werden am Ende des Konzerts vollauf bestätigt. Da tritt eine deutsche Vertreterin der Plattenfirma ans Mikrophon. Sie erzählt, daß die Fugees (und natürlich die Plattenfirma) das „Refugee Project“ gegründet hätten, eine Einrichtung „für bedürftige Kinder, die es nicht so gut haben wie ihr, mit einem schönen Zuhause, mit Eltern usw.“ Und dann bittet sie um Spenden und weist auf die am Eingang ausliegenden Infozettel hin, auf denen fettgedruckt steht: „Where there is inactivity, we create productive activity.“ Gerrit Bartels
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