„Wenn wir verletzt werden, schreibt das keiner“

■ Interview mit einem Justizvollzugsbeamten aus der JVA in Oslebshausen: „Eine Zwangsgemeinschaft ist immer hart“

rügelnde Beamte, Folter im Knast – der Skandal um die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen sorgte in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen. Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff mußte gehen, Justiz-Staatsrat Michael Göbel trat zurück. Für die Justizvollzugsbeamten in Oslebs ging die Arbeit unterdessen weiter. Heiner Müller (Name von der Redaktion geändert) ist einer von ihnen. Er ist es leid, mit den prügelnden Beamten über einen Kamm geschoren zu werden. Wir sprachen mit ihm über seinen „harten Job“, den er „trotz allem sehr gern macht“.

Herr Müller, wie ist die Stimmung im Knast?

Das fragen ausgerechnet Sie? Die Stimmung ist natürlich schlecht. Das können Sie sich doch vorstellen. Wenn man jeden Tag in der Zeitung steht, als Wärter und Aufseher tituliert wird und es auch noch heißt, man würde die Gefangenen schlagen.

Im Knast ist doch aber geschlagen worden.

Das war eine Gruppe. Es wird überhaupt nicht mehr differenziert. Jetzt heißt es, alle Beamten würden schlagen. Und das stimmt nicht.

Machen Sie Ihren Job gern?

Ja.

Ist es ein harter Job?

Oh, ja.

Warum?

Das ist schwer zu beschreiben. Es ist immer hart, wenn man mit einer Zwangsgemeinschaft arbeiten muß. Das führt einfach zu Konflikten. Sie müssen sich manchmal den größten Dreck anhören.

Was zum Beispiel?

Das möchte ich hier nicht wiederholen. Man muß sich die übelsten Schimpfwörter gefallen lassen. Das ist halt so eine Subkultur für sich. 80 Prozent der Leute sind drogenabhängig. Nicht im großen Stil, aber die meisten von denen kiffen. Die Heroin- oder Polamidonabhängigen machen ungefähr 30 Prozent aus. Das ist ein sehr schwieriges Klientel, vor allen Dingen, weil auch immer mehr Ausländer dazukommen. Da gibt es natürlich Sprachprobleme.

Was sind das für Konflikte, von denen Sie sprachen?

Konflikte halt.

Kloppen sich die Häftlinge untereinander?

Das gibt es hin und wieder, ja, weil sie sich nicht grün sind.

Greifen Häftlinge Beamte an?

Das passiert auch.

Kennen Sie Beispiele?

Einige Kollegen sind sogar aus dem Dienst ausgeschieden. Im Haus drei ist einer mit dem Messer angegriffen worden. Ich glaube, der ist aufgrund seiner Verletzung nicht wieder zurück in den Dienst gekommen. Sicher bin ich mir aber nicht. In Haus eins ist auch einer mit dem Messer angegriffen worden, der ist von sich aus ausgeschieden, weil er das nervlich nicht mehr ausgehalten hat.

Sind Sie selbst schon mal angegriffen worden?

Ja. Ich habe ein Chakko auf den Kopf bekommen.

Um Gottes Willen...

Ja, aber über sowas schreiben Sie ja nichts. Ich mußte auch ins Krankenhaus. Und trotzdem ist man wieder hingegangen.

Warum?

Ach wissen Sie, wenn ich von den ganzen Leuten, die ich bis jetzt da gesehen habe, zwei, drei durchkriege, so daß sie dann nie wieder straffällig werden – und ich weiß von zwei, dreien, die es wirklich geschafft haben –, das ist für mich eine Befriedigung. Vor allem, wenn ich selbst für die verantwortlich war. Dann kann ich sagen, ich hab' was geschafft. Daß es bei den meisten wieder schiefgeht, das weiß ich. Aber für die zwei, drei, für die lohnt es sich.

Wieviele Häftlinge betreuen Sie denn zur Zeit?

Wir sind sieben Mann und betreuen etwa dreißig Häftlinge.

Reicht das?

Wir sind eigentlich immer unterbesetzt. Wir sind angefangen mit neun Beamten pro Vollzugsgruppe, dann sind wir runtergefahren worden auf acht, jetzt sind wir nur noch sieben Mann. Es ist aber immer jemand krank oder in Urlaub. In der letzten Zeit waren wir zum Teil nur drei oder vier.

Welche Ausbildung haben Sie?

Wir kommen aus allen Berufen. Bevor man den Dienst in der JVA antritt, macht man ja erstmal zwei Jahre Ausbildung. Die Ausbildung beinhaltet Psychologie, Strafrecht, Beamtenrecht, alles, was dazugehört. Und dann gehen wir regelmäßig zur Fortbildung. Die Anfänger gehen ohnehin die ersten drei Jahre regelmäßig – meistens eine Woche – zur Fortbildung. Nachher wird die Fortbildung auf freiwilliger Basis weitergeführt.

Haben Sie selbst im letzten Jahr an Fortbildungen teilgenommen?

Ja, sogar mehrfach.

Wie alt ist das Kollegium?

Ich würde sagen, von 21 bis 60 Jahre.

Sie sagten, Sie sind sieben Beamte in einer Gruppe. Was machen Sie?

Alles. Wir fangen morgens an, die Zellen aufzuschließen. Dann wird Frühstück ausgeteilt, zur Arbeit ausgerufen, zur Arbeit geschickt. Danach ist Zellenrevision. Es müssen Berichte geschrieben werden für die Staatsanwaltschaft, fürs Gericht, für die Übernahme in den offenen Vollzug, für die Erstlockerung. Dann ist auch schon wieder Mittag. Dann müssen Sie wieder aufschließen, Mittagessen ausgeben. Nachmittags geht es wieder so weiter.

Was heißt Zellenrevision?

Wir müssen auf Sicherheit und auf Sauberkeit achten. Wir durchsuchen die Zellen stichprobenartig nach verbotenen Gegenständen, nach Drogen.

Wie oft werden Sie fündig?

Eigentlich selten, weil dafür müßte es normalerweise eine Spezialtruppe geben. Die existiert in Oslebshausen aber leider nicht.

Glauben Sie denn, daß Sie eine Spezialtruppe bräuchten?

Ja, die gibt es in jeder JVA. Wenn Sie als Ansprechpartner einem Insassen etwas wegnehmen, wird er nie wieder mit Ihnen sprechen. Sie reden doch mit dem darüber, wie er hinterher wieder klarkommt, ohne straffällig zu werden. Und dann hat er irgendwas Verbotenes auf Zelle. Es muß ja nur ein Messer sein, das Sie ihm wegnehmen. Dann ist der erstmal von Ihnen enttäuscht und spricht nicht wieder mit Ihnen.

Ist Ihnen das schon mal passiert?

Ja. Dann versucht man halt, daß er Vertrauen zu einem anderen Kollegen faßt. Aber das ist schwierig, weil die Aufbauphase weg ist. Man muß also wieder ganz von vorne anfangen. Das ist ja nicht einfach, so ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Man spricht drei, vier Stunden mit dem Häftling. Bespricht mit ihm, wie es zu der Tat gekommen ist und wie er sich sein weiteres Leben vorstellt. Man redet mit ihm über den Knast. Wie er sich selbst sieht, wie er uns sieht. Das muß natürlich wachsen. Man spricht mit den Arbeitsmeistern, mit denen er arbeitet, mit den Psychologen, die ihn betreuen und mit den Gruppenleitern, wie er sich da macht. Darüber schreibt man Bericht, hält alles fest und versucht irgendwie, den geradezubiegen.

Das klingt, als kämen Sie gut mit den Knackis zurecht.

An sich kommen wir gut miteinander klar.

Und diese Übergriffe?

Das ist alles in Haus drei passiert. Davon weiß ich nichts.

Aber Sie haben davon gehört?

Ja. Man hat es nachher gehört, als es passiert war. Wir konnten das gar nicht glauben. Aber es scheint ja tatsächlich was dran zu sein. Wir haben alle gesagt, das darf einfach nicht wahr sein.

Interview: Kerstin Schneider