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Gestern früh ist in Südafrika die Frist für Amnestieanträge abgelaufen. Fast 8.000 Bürger haben bei der Wahrheitskommission um Straffreiheit für Verbrechen gebeten, die während der Apartheid begangen wurden. Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Die Wahrheit hat verschiedene Farben

Thabo Mbeki und Joe Modise tun es, Nelson Mandela und Frederik de Klerk nicht. Eugene de Kock, Piet Koornhof, Adriaan Vlok und Constand Viljoen tun es ebenfalls, Magnus Malan, Pieter Willem Botha und Mangosuthu Buthelezi nicht. Er habe nie gemordet oder entsprechende Befehle erteilt und sehe gar nicht ein, wofür er Amnestie beantragen sollte, erklärte der Vorsitzende der Inkatha-Freiheitspartei (IFP) am Samstag. Auch der letzte weiße Präsident des Landes ist sich keiner unrechten Handlungen während seiner Amtszeit bewußt. Von Morden der „dritten Kraft“ innerhalb der Sicherheitskräfte weiß de Klerk bis heute nichts. Am Ende machte die Wahrheitskommission eine Art Wettlauf aus dem Verfahren: Wer würde es noch schaffen, um „fünf vor zwölf“ seinen Amnestie-Antrag einzureichen? Der Erfolg gab dieser Dramatisierung recht. Mehr als 2.000 Anträge gingen in den letzten Tagen ein, ehe am Samstag um Mitternacht die Frist endgültig ablief. Die Zahl liegt jetzt nach Angaben der Kommission bei fast 8.000.

Das ist für die Kommission, die der frühere Erzbischof Desmond Tutu leitet, ohne Zweifel ein Erfolg. Aber Tutu selbst mußte einräumen, daß der zuständige Ausschuß nie und nimmer all diese Anträge bearbeiten kann, bis die Amtszeit des Gremiums Ende diesen Jahres ausläuft. Es geht aber vor allem um Versöhnungssymbolik. Nach fast eineinhalbjähriger Arbeit hat Südafrika der Welt vorgemacht, wie Versöhnung aussehen kann. Die Aussagen von Opfern und Hinterbliebenen brachten Erschütterndes ans Licht, ihre Suche nach Wahrheit führte zu erschütternden Szenen im Saal.

Viele, längst nicht alle, haben die Wahrheit erfahren. Der Preis dafür ist hoch. Sie müssen ertragen, daß die Täter frei herumlaufen. Wer als Täter ein volles Geständnis ablegt, kann für politisch motivierte Taten amnestiert werden und geht damit straffrei aus. Einige Hinterbliebene haben sogar die sterblichen Überreste ihrer spurlos verschwundenen Männer und Söhne zurückbekommen, um sie endlich begraben zu können. Andere müssen mit der schmerzlichen Gewißheit weiterleben, daß auch der ANC nicht zimperlich mit eigenen Leuten verfuhr und vermeintliche Verräter brutal exekutieren ließ. In letzter Minute, ebenfalls am Samstag, gab der ANC dem Druck Tutus nach und reichte fast 400 Amnestie-Anträge ein.

Bis heute herrscht in der ehemaligen Befreiungsbewegung die Meinung vor, im bewaffneten Kampf die Moral auf ihrer Seite gehabt zu haben. Erst nachdem Tutu mehrmals mit Rücktritt gedroht hatte, setzte ein Gesinnungswandel ein. Heute ist nahezu das gesamte Kabinett unter den Antragstellern, allen voran Mandelas voraussichtlicher Nachfolger, Vizepräsident Thabo Mbeki. Der Präsident selbst, Idol der Versöhnung, so hatte die Partei schon vorher entschieden, sollte aus dem Prozeß herausgehalten werden.

Am Ende der Arbeit der Kommission wird man mehr wissen über Terror und Verfolgung im Apartheid-Staat, die „Wahrheit“ allerdings wird lückenhaft bleiben und verschieden aussehen. Vor allem aber wird sie „ungerecht“ sein. Die Wahrheit des ANC ist nicht die der Nationalen Partei. Die Wahrheit der Täter ist nicht die der Opfer. Über die verbrecherischen Methoden der ehemaligen Geheimpolizei ist durch die Amnestie-Anhörungen Sensationelles zutage gefördert worden; die Betroffenen handelten allerdings weniger aus Versöhnungsbereitschaft denn aus dem Wunsch, einer möglichen Anklage zu entgehen.

Weitgehend im Dunkeln liegt dagegen immer noch die Rolle der Armee (siehe unten). Das könnte sich mit den Aussagen dreier Mitglieder des sogenannten Zivilen Kooperationsbüros (CCB), der Anti-Terror-Einheit der Armee, ändern. In allen Fällen werden jedoch die, die Befehle erteilt haben, ungeschoren bleiben. Die Bitterkeit staatlicher Profikiller wie Eugene de Kock und Dirk Coetzee, denen der Prozeß gemacht wird, steht derjenigen mancher Opfer nicht nach. Sie fühlen sich von ihren einstigen Vorgesetzten und den politisch Verantwortlichen verraten und verkauft. Nur zwei ehemalige NP-Minister fanden sich bereit, Amnestie zu beantragen: der ehemalige Polizeiminister Adriaan Vlok und Piet Koornhof, einst zuständig für Zwangsumsiedlungen und die Durchsetzung der unmenschlichen Paßgesetze.

Geradezu mit Samthandschuhen faßte Tutu auch den früheren Staatspräsidenten P.W. Botha an. Der wurde nicht etwa vorgeladen, sondern Tutu besuchte ihn in dessen Alterssitz und flehte ihn an, doch wenigstens schriftlich ein paar Fragen zu beantworten. Einen Gang vor die Kommission lehnte das „alte Krokodil“ mit der lapidaren Begründung ab, er habe für Gott und sein Vaterland gehandelt. Auf die Antwort Bothas wartet die Kommission bis heute.

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