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Gegen den Strom schwimmen

Gesichter der Großstadt: Der seit 1975 in Berlin lebende russische Künstler Nikolai Makarow leitet das vermutlich kleinste Museum der Stadt  ■ Von Kirsten Niemann

In Outfitfragen soll man einem Künstler ja nicht reinreden. Sein Anzug hat schon bessere Tage gesehen; die Ärmel sind fadenscheinig, und das Hemd hat einen unübersehbaren Riß. Seine langen Haare sind zu einem Zopf gebunden, und unter dem Kinn wächst ein schütteres Ziegenbärtchen. Der 45jährige Nikolai Makarow sieht aus wie ein Relikt aus den siebziger Jahren.

Nikolai Makarow, der seit 22 Jahren in Ost-Berlin lebt, ist Maler, leidenschaftlicher Schachspieler und seit zweieinhalb Jahren Direktor des „Stillen Museums“ in der Linienstraße 154a in Mitte.

Das vermutlich kleinste Museum der Stadt wird von einer überschaubaren Fangemeinde finanziert, dem eingetragenen Kunstverein „StilLeben e.V.“. An den rotgestrichenen Wänden der drei abgedunkelten Räume hängen Makarows düstere Bilder. Es sind weitgehend ungegenständliche Stilleben; Bilder, die nur aus Licht und Schatten zu bestehen scheinen. Bilder, die der Betrachter am liebsten mit einer Taschenlampe anstrahlen möchte, aus Sorge, die Details zu übersehen.

„Als ich dem Museumsbeauftragten des Senats damals von der Gründung meines Museums erzählte, hat der mich für verrückt erklärt“, erinnert sich der Russe. So mag man die Einrichtung eines neuen Museums zu einer Zeit, in der normalerweise viele Sammlungen aus Geldmangel geschlossen werden, ungewöhnlich finden. Doch Makarow befindet, daß gerade viele kleine und spezielle Museen am besten die künstlerische Vielfalt in der Stadt bewahren können.

„In Berlin, Leipzig oder sonstwo“, resümiert er, „hängen doch immer die gleichen Leute – höchstens mal anders plaziert.“ Das Stille Museum ist allerdings mehr als eine Bildersammlung: wie der benachbarte „Museumsclub“ dient es als Begegnungsstätte für kulturellen Austausch.

Während man im Museum zum Beispiel Lesungen verfolgen kann, kann man im Club Konzerte hören, Wodka trinken und Schach spielen. Es sind Schauplätze, zu denen vor allem Schriftsteller und Musiker aus Makarows alter Heimat eingeladen werden, um „Berlin zu internationalisieren“, wie Makarow das ausdrückt.

„Viele große russische Künstler wandern nach Amerika oder Frankreich aus“, erklärt er. Doch auch in Berlin, für die meisten zwar nur eine Zwischenstation, sei immer mehr russische Kultur zu finden. So gibt es bereits drei russische Zeitungen in der Stadt, und ein Fernsehsender ist in Planung. „Die Literatursendungen für diesen Sender werden hier gedreht“, verkündet Makarow nicht ohne Stolz.

Vor seiner Einreise in die damalige DDR war Nikolai Makarows Verhältnis zu seiner russischen Heimat eher gespalten. Und spätestens nachdem er im Jahr 1970 an dem Moskauer Institut für Fremdsprachen eine junge Frau aus Ostberlin kennen- und lieben gelernt hatte, wollte er nichts wie weg.

„Als ich das den Behörden klarmachte“, erzählt Makarow, der damals obendrein auch noch in regimekritischen Kreisen verkehrte, „flog ich prompt aus dem Institut.“ Erst 1975 konnte er die „Liebe seines Lebens“ heiraten, was ihm die ersehnte Ausreise ermöglichte.

Neben dem Studium der Geschichte und Germanistik an der Humboldt-Uni bildete er sich selbst zum Künstler aus. Er eiferte in seiner Freizeit den alten Meistern nach, lernte ihre Lasurtechnik und modellierte die klassischen Skulpturen des Pergamonmuseums nach.

Den Staatsträgern der DDR war der Russe allerdings suspekt. Zu Recht, wie er heute einräumt. Denn zwischen einigen in den Westen gewanderten Russen aus dem Moskauer Umfeld und der immer noch dort ansässigen Resttruppe herrschte während des Kalten Krieges reger Austausch. Briefe und Flugblätter landeten vorübergehend bei Makarow.

Mikrophone im Fußboden und Nachbarn, die ihn bespitzelten, blieben von dem Künstler lange unbemerkt. Erst nach der Wende mußte er feststellen, daß „jede rote Ampel, die ich mißachtet habe, notiert wurde“. Auch die Aufnahme in den Künstlerclub hatte man ihm all die Jahre über verwehrt.

„Sie müssen noch üben!“ begründete man die Ablehnung. Doch Makarows Selbstbewußtsein als Künstler blieb davon ungetrübt. Den anderen kritischen Künstlern erging es schließlich genauso, weshalb man jedes Jahr im gleichen Kreis die Niederlage zu feiern pflegte. „Gewissermaßen war es ja ein Kompliment, wenn man nicht genommen wurde.“

Obwohl seine Werke mittlerweile in diversen Berliner Museen hängen, schwimmt Nikolai Makarow auch heute noch gegen den Strom. So hat er mit seinem Stillen Museum ganz bewußt einen „Gegenpol“ zum trendbeflissenen Kunstbetrieb schaffen wollen.

Es sei „ein Erlebnisraum für verschiedene Künste, der“ – wie der Direktor es beschreibt – „der bildenden Kunst eine ihrer ältesten Aufgaben zurückgeben kann: den Betrachter zur Kontemplation einzuladen und mit dem geistigen Teil seiner selbst in Kontakt zu bringen.“

Profan ausgedrückt, ist es vor allem eines: nämlich eine kleine Insel der Ruhe, von der aus man den Krach und Trubel des Erlebnisraumes „Großbaustelle Mitte“ getrost ignorieren kann.

Stilles Museum, Linienstraße 154a, Tel. 2807700

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