piwik no script img

„Das ganze Land ist nichts wert“

Algerien nach den Parlamentswahlen: Auf Straßen und vor Moscheen steht Militär. Kaum jemand traut sich, frei zu reden. Die Oberschicht ist zufrieden  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Nach dem Mittagsgebet strömen die Gläubigen aus der Moschee Ibn Badiss. Die Stimmung ist spürbar aufgeheizt. „Die Wahlen sind gefälscht“, schimpft ein Mittfünfziger in Arbeitskleidung laut los. „Das Ergebnis ist nichts wert, das ganze Land ist nichts wert“, raunt ein anderer, ohne seine Schritte zu verlangsamen. Ein dritter, im traditionellen islamischen Gewand, winkt ab. Er hat den Zivilpolizisten draußen vor dem offenem Tor zum Vorhof des Gebetshauses bemerkt.

Schließlich bleibt doch jemand stehen. „Das ist eine Militärdiktatur, darum traut sich niemand, frei zu sprechen“, erklärt ein glattrasierter Endzwanziger in Leeds- United-Trikot, Trainingshosen und Markenturnschuhen. „Ich kenne das Land nur zu gut. Sie sind morgen wieder in Madrid oder München oder sonstwo, während ich hierbleibe und die Zeche bezahle“, fügt er verärgert hinzu. Bevor er geht, hebt er seine Hand drohend in Richtung des Zivilbeamten. Der lächelt den drei ausländischen Journalisten zu, klopft auf seine rechte Hüfte und sagt: „Nur keine Angst. Hätte er ein Messer gezogen – bumm! Diesen Leuten ist nicht zu trauen.“

Die alte Villa gleich neben der Moschee ist zu einem improvisierten Militärstützpunkt umfunktioniert worden. Ibn Badiss ist nicht irgendein Gotteshaus. Hier wurde 1989 die heute verbotene Islamische Heilsfront (FIS) gegründet, und hier diente ihr Führer Ali Benhadsch bis zu seiner Verhaftung 1991 als Imam. Hier in der Wiege der algerischen Islamisten hat dieses Mal keiner der Befragten gewählt. „Hier gibt es weder entsprechende Parteien noch die entsprechenden Männer“, macht einer seiner Wut Luft.

„Monsieur Ali Benhadsch? Klar erinnere ich mich an ihn. Wenn ich damals schon wahlberechtigt gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch FIS gewählt“, sagt Faruk, der auf der anderen Straßenseite unter einem Baum im Schatten sitzt. Der 21jährige gehört zu einer dreiköpfigen Malerkolonne, die in der prallen Sonne die Fassade der Moschee restauriert. „Ich habe die Front der Sozialistischen Kräfte gewählt“, gibt er bereitwillig Auskunft. Die FFS des Bürgerkriegsveteranen Hocine Ait Ahmed sei die einzige Partei „mit aufrichtigem Willen zum Frieden“. Ihr im Schweizer Exil lebender Vorsitzender und Mitinitiator verschiedener Aufrufe für eine Verhandlungslösung im Krieg zwischen Armee und Islamisten könne als einziger das Land aus der Krise führen.

„Ich bin nicht aus diesem Viertel. Hier zu wohnen könnten wir uns gar nicht leisten“, erzählt Faruk. Zu teuer sei der Stadtteil Kuba mit seinen fast schon gepflegten Wohnblocks und kleinen Mehrfamilienhäusern. Faruk kommt aus Les Galciers. Im Innenministerium wird das Viertel im Armutsgürtel rund um die Zwei-Millionen-Stadt Algier „sehr heiß“ genannt. Seit Ausbruch des Konflikts vor fünf Jahren muß es ständig neue Flüchtlinge aus dem Landesinneren aufnehmen. Zusammen mit seinen Eltern und sechs Geschwistern lebt Faruk in einer Einzimmerwohnung. Der Vater arbeitet im Hafen. Faruk selbst steuert 300 Dinar – etwas mehr als neun Mark – pro Tag zum Familieneinkommen bei.

Faruks Weg zur Arbeit wird durch unzählige Militär- und Polizeikontrollen zur Odyssee. Direkt an der Ausfahrt Kuba der Schnellstraße, die den anliegenden Hafen mit dem Stadtzentrum verbindet, ist ein Posten. In blauen Kampfanzügen, die Kalaschnikows im Anschlag, fordern die Polizisten wirsch alle männlichen Passagiere auf, Autos und Busse zu verlassen. Während die Frauen mit ängstlichem Blick zuschauen, müssen sie sich in einer Reihe aufstellen, Papiere in der Hand. Wer Pech hat, wird mitgenommen.

Auch Algiers Zentrum ist zum Hindernisparcours geworden. Die meisten Polizeikommissariate dienen als Kontrollpunkte. Rotweiß gestrichene Barrieren mit Stahlspitzen zwingen zum Halten. Soldaten und Polizisten vor wichtigen Gebäuden und auf den Hauptverkehrsadern verstärken das Netz. Am schlimmsten hat es die Stadtteile rund um das zentral gelegene Arbeiterviertel Bab al-Oued erwischt. Die Hauptverkehrsstraße, die sich gleich neben der Islamistenhochburg den Berg hochzieht, endet auf dem Boulevard Frantz Fanon. Dort stehen das Verteidigungsministerium und das größte Hotel der Stadt, in dem ausländische Gäste untergebracht werden.

Nur am Wochenende erobert sich die Bevölkerung hier die Straße zurück. Dann bestimmen Jugendliche in Fußballtrikots von Bayern München und FC Barcelona das Straßenbild. Mit den schwarzroten Fahnen des USM Alger ziehen sie hinunter an die Uferstraße ins Fußballstadion Bologhin. Die meisten Fans stammen aus der Kasbah. Der historische Stadtkern war einst fest in der Händen der FIS. Ihren jugendlichen Sympathisanten dient der Fanblock in der Westkurve des Stadions als Rückzugsgebiet. Vor allem, wenn es gegen den als regimetreu geltenden MC Alger geht, steigt die Stimmung auf den Rängen. Dann werden die Schwarz- Roten schon mal mit Rufen angefeuert, dem Gegner doch einfach die Gurgel durchzuschneiden. „Schon unter der Einparteienherrschaft hat Fußball als Überdruckventil funktioniert“, erklärt ein Sportreporter.

Islamistische Fußballfans? Der Präsident des USM Alger, Salim Allik, winkt ab. „Wir hier im Vereinsvorstand haben alle RND gewählt“, erklärt er und zeigt auf die Herren in dunkelblauen Funktionärsanzügen auf den Ehrenplätzen der Zentraltribüne – eine Reihe speckiger schwarzer Lederstühle. Die Nationale Demokratische Sammlung (RND) wurde eigens gegründet, um Präsident Liamine Zéroual aus dem Parlament heraus zu unterstützen. „Der größte USM-Fan ist Sportminister Muldi Aysani. Er kommt manchmal sogar zu den Spielen“, fügt Clubpräsident Allik stolz hinzu, bevor er beginnt, Fragen über die deutsche Bundesliga zu stellen.

Muhammad, einer der Bodyguards auf der Ehrentribüne, analysiert den Einfluß der Islamisten unter Jugendlichen auf seine Art: „In Stadtteilen wie der Kasbah hatten die Leute einfach vom Einparteienstaat der FLN die Schnauze voll. Überall herrschte Korruption.“ Die FIS sei gelegen gekommen, um denen da oben Bescheid zu sagen. Muhammad selbst war lange Zeit arbeitslos, bevor er sich vom Innenministerium rekrutieren ließ. Algeriens Krise verhalf ihm zu einem Einkommen. Zwar kann Muhammad sich jetzt nicht mehr wie früher ruhig in die Westkurve stellen, um seinen Club anzufeuern. Aber dafür entwischt er jeden Sommer zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Schiff hinüber in das spanische Alicante. „Dort ist richtig was los“, schwärmt Muhammad, „so wie in Algier vor der Krise.“

„Heute geht es nur noch darum, sich irgendwie über Wasser zu halten“, beschreibt ein Kneipenbesitzer im Zentrum der Stadt seinen Alltag, seit das Publikum mit Geld sich nicht mehr in die Straßenzüge zwischen Hauptpost, Parlament und dem Amir-Abdalkader-Platz traut. Hier geriet Bürgermeister Ali Bucetta in einen tödlichen Hinterhalt, und hier legte eine Autobombe ein Hotel in Schutt und Asche.

Zwar hängen heute noch vereinzelt Jugendliche auf dem Platz herum, zum Einkehren fehlt ihnen jedoch das Geld. Spätestens um elf Uhr abends, wenn auch die letzten Kneipen schließen, sind die Straßen im Herzen Algiers wie ausgestorben. Der Rest Nachtleben hat sich aus der Innenstadt hinauf zum von überall aus sichtbaren Denkmal der Märtyrer verlagert. Wo einst in den Jahren der sozialistischen Experimente unter Präsident Huari Boumedienne mit Aufmärschen nationale Feiertage begangen wurden, pulsiert jetzt das Leben – unter stärksten Sicherheitsvorkehrungen. In einer Mitte der achtziger Jahre enstandenen mehrstöckigen Einkaufsgalerie flaniert die Oberschicht der Stadt bis spät in die Nacht durch Waschbetongänge. Von Computern über Elektroartikel und sündhaft teuren Schmuck bis hin zu Skatebords und internationaler Presse ist hier alles erhältlich. Zwischen Restaurants, Diskotheken und Kinos spielen die Reichen des Landes ein wenig Europa.

„Der Ort ist angenehm ruhig, hier gab es noch nie Anschläge“, erklärt Hamid (40), warum er gekommen ist. Er hat sich auf einem Treppenabsatz niedergelassen und schaut seinen Töchtern Abrudsch (6) und Faisa (3) zu, wie sie im Innenhof des Gebäudes neben dem Springbrunnen Beachball spielen. Hamid arbeitet als Finanzfachmann in den Erdölfeldern in der südalgerischen Wüste. Auch er hat „selbstverständlich“ RND gewählt. Die neuen alten Machthaber könnten als einzige das Land aus der Krise führen. Wie? „Durch Entwicklung der Wirtschaft.“ Daß bei dem damit verbundenen Liberalisierungsprozeß die Bevölkerung in den letzten Jahren erschreckend verarmt ist, beunruhigt ihn nicht, denn: „Um das Land wieder aufzurichten, müssen eben Opfer gebracht werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen