: Der Architekt verschwindet
Geistig matt: Auf dem Deutschen Architektentag in Berlin wurde über „die Zukunft der Baukultur“ mehr in nostalgischen Bildern geredet ■ Von Rolf Lautenschläger
Es gehört zu den Mythen am Bau, daß Architekten gefährlich leben. Manch einer, der dem Willen der Bauherren nicht genehm war, stürzte im Chicago der dreißiger Jahre vom Gerüst. Ein anderer, der Bauunternehmern zu sehr die Kosten drückte, versank im sizilianischen Beton. Schließlich gab es auch solche, die von den Arbeitern zum Teufel gejagt wurden, wenn die Pläne nicht stimmten. Ob Absturz, ob als Leiche in einem Brückenpfeiler oder auf der Flucht, bestehen blieb der Mythos vom baulichen Heroen, der den Entwurf für das soziale Zusammenleben plant, ganze Städte entstehen läßt, Häuser baut.
Der Mythos ist heute entzaubert, die Gefährlichkeit des Berufsstands hält an. Sie ist jedoch anders konditioniert, andere Kräfte bedrohen Architekten. Denn die „Zukunft der Baukultur“, über die der Deutsche Architektentag am Wochenende in Berlin debattierte, vereinnahmen andere für sich: Generalunternehmer und Großinvestoren, die neuen Techniken sowie die Bauindustrie. „Der Berufsstand heute“, klagte Peter Erler, Präsident der Bundesarchitektenkammer, „wird zurückgedrängt. Schnelles Bauen statt qualitätvoller Planung und Wildwestmethoden privater Auftraggeber“ griffen am Bau mehr und mehr um sich. Interessante Entwürfe oder die soziale Verantwortung der Baukünstler würden verdrängt zugunsten banaler Renditearchitekturen oder repräsentativer Klotzigkeit. Erlers Fazit: Gute Architektur und der Architekt selbst sind auf dem Weg zu verschwinden.
Wenn alles so bleibt, wie es ist, müssen Veränderungen ins Haus stehen, sonst überrollt uns die Geschichte. Doch wer sich erhoffte, die Baumeister blickten auf dem dreitägigen Kongreß dem Strukturwandel mit offenem Visier ins Angesicht, sah sich enttäuscht. Dem Diktum Walter Gropius', „in der Baukunst zähle nur der beständige Wandel“, die moderne Architektur samt ihrer Protagonisten sei dazu verdammt, sich innovativ zu verhalten, stand der Architektentag mit einer geistigen Mattigkeit gegenüber. Sicher, Erler und auch der Berliner Architekt Konrad Wohlhage, appellierten an die rund 1.200 angereisten Standesgenossen, „offensiv neue Leistungen anzubieten, die über die bisherigen Tätigkeitsfelder hinausgehen“. Qualifizierung sei erforderlich, die Bildung von „Super-Bauteams“ notwendig, um den anonymen Projektsteuerern nicht das Feld zu überlassen. Wohlhage: „In einer Zeit, in der sich die traditionellen Bauherren zunehmend in Gesellschaften auflösen, werden Architekten gezwungen, mehr Kompetenz zu zeigen.“ Den „Gegnern der Baukultur“, die in der Architektur nur mehr ein Finanz- und Managementproblem sähen, müßte der Generalplaneranspruch entzogen werden. Sprach's, und es verhallte.
Daß man der Gefahr des Verschwindens von Architektur auf dem Deutschen Architektentag nicht richtig begegnen wollte, mag mehrere Gründe haben. Der Blick nach vorn scheint verstellt zu sein, wie bereits die Auftaktveranstaltung deutlich machte. In seinem Grußwort sprach Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen den Architekten – widerspruchslos! – die Fähigkeit ab, für die „offene Wunde“ am Schloßplatz, zwischen Palast der Republik und Schinkels Friedrichwerderscher Kirche, zeitgenössische Architektur samt moderner Konzeption zu entwerfen. Für die Bebauung der öden Mitte gelte der Maßstab des 19. Jahrhunderts, gab Diepgen die Richtung vor. Und, wie gesagt, keiner hielt dagegen.
Wo der Glaube an die eigenen Fähigkeiten fehlt, wendet man sich getrost der Vergangenheit zu, bietet diese doch (noch) sicheres Terrain. Es gab kaum einen Vortrag, in dem nicht das Ideal der traditionellen europäischen Stadt, der urbanen Dichte und der Mythos der 20er Jahre beschworen wurde. Die Kritik an allen modernistischen Versuchen und baulichen Zukunftsutopien der letzten sechzig Jahre folgte auf dem Fuß – nicht Hans Scharoun oder Günter Behnisch saßen im Geiste mit auf den Podien, sondern die Architekten der Jahrhundertwende. Oder die Postmodernen.
Ein anderes Manko, warum der Architektentag über Zukünftiges nur am Rande zu reden vermochte, mag gewesen sein, daß das Programm viel zu berlinlastig und zu konzeptionslos daherkam. „Bauen am Pariser Platz“, „Hauptstadtprojekte“, der Potsdamer Platz, der „Berliner Architekturstreit, die Reurbanisierung“: die Themen, Standorte und Debatten sind nicht nur vor Ort seit Jahren durchgekaut worden und locken kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervor. Die Projekte sind genehmigt, die Gebäude befinden sich in der Realisierung, und es herrscht zum Teil ein großes Lamento über die simple Historizität oder die noch simplere Moderne der Bauten. Wie es weitergeht, weiß niemand so recht.
Kein Architekt meldet sich öffentlich zu Wort, um das, wie die baupolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, es tat, „fürchterliche Monstrum am Potsdamer Platz, die unmenschliche Kunststadt“ aufs Korn zu nehmen oder zu verteidigen. Lieber simuliert man Traditionen wie am Pariser Platz, bastelt weiter an tektonischen Fassaden und vergißt, was Architektur noch sein kann. Axel Schultes' Polemik, die Architekten befänden sich im „Würgegriff“ von Vorschriften und baulichen Ideologien, drang bis zum Architektentag nicht durch. Schade.
Er habe das Wort „Solidarität“ vermißt, klagte Andreas Gottlieb Hempel, Chef des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Jeder Baumeister mache, was er will, sei nur auf den eigenen Vorteil, den Auftrag aus. Bei so viel Leere macht es nichts, wenn einige gefährlich leben.
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