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Langzeitarbeitslosigkeit unterschätzt

Offiziell ist fast ein Drittel aller Arbeitslosen langfristig ohne Job. Nach einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegt ihr Anteil aber bei sechzig Prozent  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Langzeitarbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie offiziell ausgewiesen. Das Fazit einer aktuellen Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist alarmierend.

Werner Karr, Leiter des Arbeitsbereiches Analytische Statistik, internationale und regionale Arbeitsmarktforschung an dem der Bundesanstalt für Arbeit (BA) angegliederten Institut, kommt in seinen Berechnungen zu dem Ergebnis, daß der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der Gesamtarbeitslosigkeit fast bei 60 Prozent liegt. Offiziell weist die Bundesanstalt in ihrer letzten amtlichen Statistik für Ende Mai jedoch nur einen Anteil von 32,4 Prozent aus. „Der wahre Sachverhalt wird systematisch untererfaßt“, so Karr gegenüber der taz. Als Grund für diese Diskrepanz macht IAB-Wissenschaftler Karr die bislang übliche Zählweise aus.

Bisher wird an einem bestimmten Stichtag ermittelt, welche Arbeitslosen bis dahin ein Jahr und länger ohne Job waren. Die galten dann nicht nur in deutschen Statistiken, sondern auch in Zahlentabellen der EU oder der OECD als Langzeitarbeitslose. „Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs“, kritisiert Karr. Nicht berücksichtigt seien diejenigen, die zwar arbeitslos sind, aber erst in einer Woche, in einem Monat oder noch später langzeitarbeitslos werden. „Die stehen doch alle erst am Anfang der Durststrecke, müßten aber in die Berechnung der Langzeitarbeitslosigkeit mit eingehen“, betont der Chefstatistiker des BA- eigenen Instituts.

Das ganze Ausmaß der Langzeitarbeitslosigkeit erkenne man erst dann, wenn man „ausschließlich abgeschlossene Fälle von Arbeitslosigkeit“ betrachte, bei denen man definitiv wisse, wer langzeitarbeitslos war und wer nicht, so Werner Karr.

Bei dieser Sichtweise kommt er für 1996 zum Ergebnis, daß die Langzeitarbeitslosen in Westdeutschland zu mehr als der Hälfte, nämlich zu 58,4 Prozent, zum Bestand beitragen. Offiziell sprach die Bundesanstalt jedoch nur von 32,9 Prozent. Kommt Karr bei seiner Berechnung für 1996 zu 1,64 Millionen Langzeitarbeitslosen, weist die Statistik nur 0,88 Millionen aus. Ende Mai 1997 waren 1,02 Millionen Langzeitarbeitslose für die alten Bundesländer ausgewiesen, tatsächlich sind es nach karrs Berechnungen aber mindestens 1,7 Millionen, die länger als ein Jahr ohne Job sind oder sein werden.

Dieses Mißverhältnis könnte man systematisch nennen. „Die bisherige Messung verschleiert den Sachverhalt“, resümmiert der IAB-Forscher in seiner Studie, die in der Bundesanstalt für Aufsehen gesorgt hat. Für Karr ist eine exakte Erfassung von erheblicher Bedeutung, gilt doch der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit nicht nur als Indikator für die Funktionsfähigkeit und Dynamik des Arbeitsmarktes, sondern auch für den Erfolg der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Er plädiert daher für eine international einheitliche Erfassung, um einen Vergleichsmaßstab zu besitzen.

Daß die dazu nötigen Daten wie Zugänge, Abgänge und Dauerverteilungen für nahezu kein Land verfügbar seien, findet Werner Karr „kaum begreiflich“. In der Tat wird in den meisten Ländern die durchschnittliche abgeschlossene Dauer der Zeitspanne ohne Arbeit überhaupt nicht erhoben, in der Bundesrepublik Deutschland auch nur einmal im Jahr.

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