: VW überwindet Zeit und Raum
Konzern will weltweit Modelle entwickeln: Geht in Wolfsburg die Sonne unter, sollen Ingenieure in Amerika und China weiterforschen ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Unsere Entwicklungsingenieure sitzen bei Termindruck natürlich auch schon mal abends oder nachts an ihren Computerterminals“, sagt der Volkswagen-Sprecher Günther Scherelis. Doch ansonsten sei eine Arbeit rund um Uhr in den Forschungs- und Entwicklungszentren von Volkswagen in Wolfsburg und Ingolstadt bisher unbekannt. Nach einem Konzept, das Audi-Manager Erich Schmitt im Auftrag des VW-Konzernvorstands entworfen hat, soll dies bald anders werden.
Rund um die Uhr sollen demnach die Entwicklungsarbeiten an wichtigen Fahrzeugkomponenten bei VW laufen. Allerdings will auch Schmitt die 9.800 Mitarbeiter, die in Wolfsburg und bei Audi in Ingolstadt in der Entwicklung beschäftigt sind, künftig keineswegs in Wechselschicht zur Arbeit beordern. Durch einen „weltumspannenden Entwicklungverbund“ möchte Schmitt – bei Audi für Organisation, Einkauf und Finanzen zuständig – dafür sorgen, daß die Entwicklungsarbeiten auch dann nicht unterbrochen werden, wenn in Deutschland tiefe Nacht ist.
Bei der weltweiten Entwicklung, die der längst weltweiten Produktion nur folgen würde, sollen die neuen VW-Fahrzeugkomponenten gleichzeitig in drei rund um den Erdball verteilten Entwicklungszentren konstruiert werden, die durch Datenleitungen miteinander verbunden sind. Wenn der Konstrukteur in Wolfsburg seinen Arbeitstag beendet, soll er seinen Auftrag an einen Kollegen in Amerika weiterreichen, der ihn bei Feierabend einem Konstrukteur in Asien übergibt.
Bei einigen deutschen Maschinen- und Anlagenbauern ist solche global arbeitsteilige Bildschirmarbeit bereits üblich. Der Konzernvorstand von VW will in zwei Wochen erstmals darüber beraten, ob auch bei VW die Entwicklungsarbeiten dem Lauf der Sonne um den Globus folgen sollen.
Ein Abbau von Arbeitsplätzen in Wolfsburg und Ingolstadt drohe durch die neue weltweite Entwicklung nicht, versichert die Pressestelle des Autokonzerns. Die Modellzyklen würden kürzer, und der Autokonzern werde in den nächsten drei Jahren die Zahl der VW- Modelle von jetzt 38 weltweit auf 51 steigern. Entsprechend wachse auch das in den Entwicklungsabteilungen anfallende Arbeitsvolumen. VW wolle mit dem geplanten weltweiten Entwicklungsverbund außerdem auf das Konzept des Weltautos, auf den weltweiten Vertrieb ein und desselben Fahrzeugtyps, reagieren, auf den etwa Ford und Opel setzen.
Die Marktchancen des Weltautos, das sich in Afrika, China und Europa gleichermaßen verkaufen soll, berurteilt VW weiter pessimistisch. Im Wolfsburg setzt man statt dessen darauf, längerfristig alle Modelle mit nur noch vier verschiedenen Plattformen zu produzieren, die aus Fahrwerk, Achsen, Bodengruppe und Getriebe bestehen und zusammen mit einem Motor aus der VW-Palette beinahe zwei Drittel des Autos ausmachen. Diese für die VW-Kleinwagen, für die Golf- und für die Mittel- und Oberklasse je verschiedenen Plattformen, die etwa in Südafrika, in Spanien bei Seat oder in Wolfsburg mit verschiedenen Karosserien kombinierbar sind, wurden bisher nur in Wolfsburg und bei Audi in Ingolstadt konzipiert. Außerhalb Deutschlands entwickelte VW lediglich die dem jeweiligen Marktgeschmack angepaßten Karosserien.
Mit dem weltweiten Entwicklunsgverbund soll nun auch die Konstruktion der technisch anspruchsvollen Plattformen nicht mehr deutschen Ingenieuren vorbehalten sein. Als asiatischer Standort des Verbundes denkt VW an Shanghai. Dort hat VW- Chef Ferdinand Piäch erst vor sechs Wochen den Grundstein für ein neues Forschungs- und Enwicklungszentrum gelegt, in dessen Bau Volkswagen 200 Millionen Mark investiert.
Mit der Einbeziehung der Shanghai Volkswagen Automotiv Company in den Verbund käme der Wolfsburger Autokonzern auch einer Forderung seines Shanghaier Partners, des chinesischen Staates, nach, der sich allein mit dem Bau von VW-Autos in der Volksrepublik nicht zufrieden geben will.
Ob das dritte amerikanische VW-Entwicklunsgzentrum in Mexiko oder in Brasilien aufgebaut wird, ist nach Angaben von VW noch nicht entschieden. Jürgen Voges
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