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Wand und BodenDas Fenster zur Welt ist ein Fernseher

■ Kunst in Berlin jetzt: Chuck Close, Tony Oursler, Alex Katz, Catherine Yass, Glenn Brown

Schon an der Galerietür wird der Besucher bei Franck + Schulte fixiert. Ein älterer Mann mit zerfurchtem Gesicht und weichen Lippen starrt aus bald 15 Meter Entfernung herüber, der Kopf von einer dunklen Fläche umrandet. Die Plötzlichkeit, mit der man sich als Betrachter beim Betrachten ertappt fühlt, noch ehe man selbst überhaupt richtig hingeschaut hat, ist verblüffend und fügt sich in die Unmittelbarkeit, die in gleicher Weise von den anderen, knapp ein Dutzend Bildern ausgeht. Nur prägt sich die Anziehungskraft der unglaublich scharfen Konturen beim erstenmal am tiefsten ein. Hier ist es ein Foto, das der New Yorker Maler Chuck Close von seinem Kollegen Alex Katz angefertigt hat (später wird man ihm wiederbegegnen).

Close, Jahrgang 1940, wurde gegen Ende der sechziger Jahre mit großformatigen Porträtgemälden bekannt und nimmt durchaus eine Sonderstellung unter den Fotorealisten ein. Statt sich allein auf sein handwerkliches Geschick zu verlassen und Motiv für Motiv bloß getreu der Vorlage auf die Leinwand zu kopieren, hat der Maler die Technik vielmehr als Fragestellung eingesetzt: Was geschieht mit einem Gesicht, wenn man es analysiert? Bei Close scheinen die Porträtierten in lauter Intensitätsfelder zu zerfallen, aus winzigen Unebenheiten oder Merkmalen bilden sich kleine Inseln, die das Gesicht noch in der Fläche wie eine Landschaft nuancieren.

Dieser Eindruck wird bei den Fotos noch verstärkt, die Close von Polaroids im Ink-Jet-Verfahren zu 90 x 120-cm-Drucken aufbläst. An „Alex“ (1987) ist neben den kantigen Falten besonders die Nase auffällig, deren knollige Form so weit aus dem Foto hervorsticht, daß sie von nahem fast zu verschwimmen droht. Bei „Janet“ sind es pointillistische Sommersprossenspuren am Kinn, und auf dem „Self Portrait“ bilden sich feine weiße Rinnsale aus Tränenflüssigkeit unter der Brille von Chuck Close. Wie durch einen Zaubertrick erkennt man im Foto die Malerei wieder, deren Verfeinerung Close seit 30 Jahren vorangetrieben hat. Warum sich beide Medien allerdings so spielerisch leicht überlagern, bleibt sein Geheimnis.

Auch Tony Oursler beherrscht im Nebenraum der Galerie sein Medium wie ein Taschenspieler Kartentricks. Mit zwei minimalistischen Videoinstallationen markiert er äußerst geschickt, daß sich Film zu elementaren Skulpturen umwandeln läßt. Auf das Winkelkreuz eines Rechtecks projiziert der 1957 geborene New Yorker eine belebte Straßenszene vor einem Herrengeschäft, das ausgerechnet „Men's Corner“ heißt. Doch die Doppeldeutigkeit des Namens macht nur einen geringen Teil der Situationskomik aus. Durch die Brechung an der Kante der Bildfläche scheinen sich alle Autos und Passanten um die Ecke zu bewegen. Die zweite Projektion zeigt ein überdimensional glotzendes Auge, das auf eine von der Decke hängende Kugel geworfen wird. Leise nimmt man Videospielgeräusche wahr, zu denen sich ein glitzernder Monitor in dem gefilmten Auge spiegelt. Das Detail hat Geschichte, schon auf einem Bild Albrecht Dürers konnte man die Reflexion eines Fensterkreuzes auf der Pupille sehen. Es gehört zur Ironie bei Oursler, daß aus dem Fenster zur Welt ein Fernseher geworden ist.

Bis Ende August, Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11–15 Uhr, Mommsenstr. 56

Es muß Zufall sein, daß auch die Ausstellung bei Barbara Thumm mit einer Arbeit von Alex Katz beginnt. Zwar hat der Maler vor zwei Tagen seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert, aber ansonsten bleibt die Kombination mit den beiden jungen Briten Glenn Brown und Catherine Yass eher willkürlich. Und die Beschäftigung mit Porträts als gemeinsames Thema ist dann doch sehr allgemein: Katz malt, Brown kopiert ältere Meister oder Sonntagskünstler, und Yass baut Leuchtkästen mit Fotos von Bekannten aus ihrer Zeit am Goldsmiths' College. Viel haben diese verschiedenen Herangehensweisen einander jedenfalls nicht zu sagen.

Trotzdem ist es erstaunlich, wie dicht alle Arbeiten dem aktuellen Geschehen verhaftet sind – auch die in Schwarz gekleidete Dame auf dem Gemälde von Alex Katz. Schon in den sechziger Jahren wandte er sich der figurativen Malerei zu, um sich vom expressiven Mainstream abzusetzen. Dabei ist noch das Bildnis der Frau seines Cousins Fläche für Fläche ganz und gar Oberfläche. Deutlich erkennt man in seiner Vorliebe für Nebensächlichkeiten den Stilisten Katz, der sich absolut von der äußeren Erscheinung seiner Gegenüber fasziniert zeigt. Der Hut schließt am Mantelkragen ab, das Ohr wird in eine Kurve aus schwarzem Stoff und Haar eingefaßt. Das alles ist ungeheuer ästhetisch und cool wie Modefotografie.

Bei Catherine Yass entsteht die Glamourwirkung durch die Montage von zwei phasenverschobenen Aufnahmen. Vor allem die Stirnpartien leuchten seltsam metallisch blau, während sich die Schatten mit der Doppelung immer tiefer in die Gesichter hineinfressen. Bei Gunter Umberg kommt noch der Bart als diffus flimmerndes Areal zu Hilfe, das mit seinen silberig glänzenden Wangen kontrastiert. Von dieser Art Künstlerbild mit Popstar-Appeal weicht Glenn Brown mit der Fotoreproduktion eines kauzig gemalten Schuljungen allerdings weit ab. Gerade durch das übergroße Format wirkt dieses Fundstück, das der 1966 geborene Brown seit ein paar Jahren immer wieder variiert, noch ungeschliffener als das ohnehin laienhafte Original. Die Übertragung von low painting in einen gewissen High-art-Kontext erinnert ein bißchen an die Strategien von Asger Jorn in den fünfziger Jahren. Doch das Bild ist für Browns Arbeitsweise die Ausnahme: Seit geraumer Zeit überträgt der Maler wirre Science-fiction-Phantasien in romantische Idyllen, oder er nimmt sich die fett pastos geschichteten Gemälde von Auerbach vor, um sie mit feinem Pinsel in extrem flache Versionen zu verwandeln. Informel mit Trompe-l'÷il-Effekt. Nun bringt er Dilettanten zum Schillern.

Bis 30.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Auguststraße 22 Harald Fricke

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