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Drei-Minuten-Analyse

■ FDP-Parteitag träumt von Rotgelb

Sechzig Sekunden muß man schon rechnen für so eine Abstimmung. Vielleicht etwas mehr. Dann aber sollte die FDP entschieden haben, ob sie nach der Bürgerschaftswahl mit der SPD koalieren möchte, verkündete am Donnerstag abend das Präsidium des außerordentlichen Landesparteitages. Vorher drei Minuten Sprechzeit pro RednerIn – man wollte schließlich fertig werden, bis Ehrengast Hans-Dietrich Genscher die Elbbrücken überquert hatte. Also hurtig.

Die 81 Delegierten im Wilhelmsburger Bürgerhaus spurten. Nach anderthalb Debattenstunden stimmten nur fünf von ihnen gegen ein Bündnis mit der SPD. Vier Abgeordnete enthielten sich. All das in rund 50 Sekunden. Parteichef Frank-Michael Wiegand lobte die liberale Diskussionskultur, ließ den Genscher-Begrüßungsmarsch vom Band und bückte sich, um dem Ex-Außenminister die Hand zu schütteln – etwa zehn Sekunden lang.

Daß Genscher, sonnenbraun und 70jährig, mit seiner Rede den Zeitplan zerwühlte und das „Come together“verzögerte, ward ihm verziehen. „Wir wollen in Hamburg ein Zeichen dafür setzen, daß die Menschen reform- und veränderungsbereit sind“, sagte der FDP-Ehrenvorsitzende. Klatschende Delegiertenhände, zur Ruhe gezischte Zwischenrufer und eine 40minütige Rede, allenfalls von Applaus unterbrochen.

Für eine Analyse der Hamburger Liberalen brauchte der ehemalige Bergedorfer Fraktionschef Kurt Hansen nicht mehr als 180 Sekunden. Die Koalitionsaussage „zeigt mal wieder, wie machtgeil wir sind“, sagte er. Mit einem „viel zu hoch bezahlten Schauspieler“wie SPD-Bürgermeister Henning Voscherau solle man nicht zusammenarbeiten. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß mit einer rot-gelben Koalition in Hamburg die SPD-Mehrheit im Bundesrat kippen würde.

Ohnehin können die Liberalen „froh sein, wenn wir überhaupt in die Bürgerschaft kommen“, sagte Willi Große aus Eppendorf. „Ich werde den Leuten an unserem Infostand nur schwer erklären können, warum wir schon wieder an die Macht wollen.“

Sechs Minuten Parteischelte, die letztlich wirkungslos blieben. Daß der Landesparteitag bestimmt koalitionswillig sei, hatte Frank-Michael Wiegand bereits am Dienstag der Presse angekündigt. Auch Bündnisgegner Kurt Hansen blieb realistisch: „Ich weiß, daß der Koalitions-Vorschlag angenommen werden wird. Dafür kenne ich diese Partei zu gut.“ Judith Weber

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