: Rechte Subkultur boomt
■ betr.: „Kein Schlag gegen Neona zis“, taz vom 19. 7. 97
[...] Farin, anerkannter Experte zum Thema Rechtsextremismus allgemein und Nazirock im speziellen, hat in der Vergangenheit gute Arbeiten zum Thema vorgelegt. Um so unverständlicher ist es mir, daß er zu den im Kommentar genannten Einschätzungen kommt, die Abwiegelungen und Verharmlosungen des Verfassungsschutzes weit in den Schatten stellen. Während die Verfassungsschützer der rechtsradikalen Subkultur eine immer wichtiger werdende Rolle zuschreiben, meint Farin, daß der Rechtsrock „nicht zur Rekrutierung von Jugendlichen für den organisierten Rechtsextremismus geeignet“ sei und die Konzerte „unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden“ würden. Den Professionalisierungsschub, den die Nazirockszene derzeit erfährt und den auch der Autor nicht unter den Tisch kehren kann, schiebt er kurzerhand der staatlichen Verfolgung in die Schuhe.
Die Realität sieht anders aus: Mit den zahlreichen Verboten neofaschistischer Parteien seit Anfang der 90er Jahre ist den Neonazis ein wichtiger Teil ihrer Rekrutierungsstruktur abhanden gekommen. Dies versuchen sie über den Ausbau der rechten Subkultur und der Propaganda und Rekrutierung in dieser Szene wettzumachen – nicht ohne Erfolg. Die Szene boomt, und nahezu jedes Wochenende finden Konzerte mit teilweise über 1.000 Teilnehmern statt. Eine stattliche Anzahl dafür, daß Farin die Szene auf 6.000 bis 8.000 Fans schätzt. Mit Resistance aus den USA, Nordland aus Schweden und Rock Nord aus Deutschland erscheinen mittlerweile vierfarbige Hochglanzfanzines mit einer Auflage von jeweils bis zu 20.000 Exemplaren – eine Größe, von der die anderen Neonazi-Postillen nur träumen können. Mit diesen Magazinen wird die professionelle Vermarktung der Neonazi-Musik sichergestellt. Die Neonazi-Kader, die dahinterstehen, finanzieren mit den Einnahmen wiederum andere Aktivitäten.
Gerade im Osten Deutschlands, wo rechts nach wie vor „in“ ist und nicht selten die rechtsradikalen Jugendlichen das Bild prägen und die Straße beherrschen, hat diese Strategie Erfolg. Mehr Erfolg als Flugblätter und Parteipropaganda: Die Jugendlichen werden über die Musik und Subkultur langsam an die Szene herangeführt, und nicht wenige landen später in den Gruppierungen der Neonazis. Dieser Erfolg wiederum führte zu dem Professionalisierungsschub in der rechten Subkultur, den auch Farin benennt.
Auch wenn der Erfolg repressiver staatlicher Maßnahmen gegen die Neonazi-Szene zweifelhaft bleibt, wie Farin ebenfalls in seinem Kommentar kritisiert, kann eine Unterbewertung der rechten Subkultur, wie in dem Kommentar geschehen, nicht unwidersprochen stehenbleiben. [...] Antifaschistisches Infoblatt, Berlin/Name ist der Red. bekannt
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