■ Anklage Im Namen des römischen Volkes gegen die Korruption: „Welch mächtigen Schutz Geld bietet...“
Seine Rede könnte heute in vielen Prozessen gegen moderne Potentaten fast wortwörtlich wiederholt werden: Die Anklage des Marcus Tullius Cicero gegen den korrupten sizilianischen Statthalter C. Verres aus dem Jahr 70 v. Chr. im Wortlaut:
„Es ist höchste Zeit für den Staat, und nicht menschliche Planung ist es, sondern geradezu göttliche Fügung, daß ihr Richter die Gelegenheit bekommt zur Durchführung dessen, was heute besonders wünschenswert ist und sinnvoll, um den öffentlichen Ärger über euren Stand und den üblen Ruf der Gerichte abzubauen. Längst hat sich die für den Staat verderbliche und für euch gefährliche Meinung eingenistet und sogar im Ausland verbreitet, wonach unsere Gerichte ... keinen reichen Mann verurteilen würden, und sei er auch noch so schuldig. In diesem für euren Stand und für die Justiz so kritischen Moment, wo allerlei Leute auf Volksversammlungen und mit Hilfe von Gesetzesanträgen den Haß gegen den Senat schüren, kommt nun C. Verres vor Gericht, ein Mann, den die Öffentlichkeit seines Lebens und Treibens wegen durchaus verurteilt, der sich jedoch aufgrund seines vielen Geldes bereits vom Gericht freigesprochen wähnt.
Ich habe diesen Prozeß unter großer Begeisterung und Erwartung des römischen Volkes als Ankläger übernommen – nicht um den Senatorenstand noch mehr in Mißkredit zu bringen, sondern um die allgemeine Schmach zu mindern. Denn ich ziehe hier einen Menschen zur Verantwortung, durch dessen Aburteilung ihr die verlorene Ehre der Gerichte zurückgewinnen, euch mit dem römischen Volk wieder aussöhnen und im Ausland wieder Ansehen verschaffen könnt: Verres ist der Plünderer der Staatskasse, der Peiniger Asiens ..., der Ausbeuter der städtischen Gerichtsbarkeit, ... das Verderben der Provinz Sizilien. Wenn ihr über diesen Mann streng und gewissenhaft urteilt, dann werdet ihr wieder dauerhaftes Ansehen gewinnen. Sollte jedoch umgekehrt sein ungeheurer Reichtum die richterliche Gewissenhaftigkeit und Wahrheitsliebe erneut ausschalten, dann habe ich immerhin gezeigt, daß dem Staat allenfalls ein funktionierender Gerichtshof, nicht aber ein Angeklagter oder dem Angeklagten ein Ankläger gefehlt hat.
Was mich betrifft: C. Verres hat zu Lande und zur See zahlreiche Anschläge gegen mich durchführen lassen; sie wurden teils durch meine Vorsicht vereitelt, teils durch aufmerksame und hilfsbereite Freunde verhindert. Dennoch sehe ich gerade in der heutigen Verhandlung größere Gefahr denn je, habe nie soviel Beklemmung verspürt wie gerade jetzt. Sorge bereitet mir dabei nicht so sehr die allgemeine Erwartung hinsichtlich meiner Anklage und die große Volksmenge, die da zusammenströmt (obwohl mir auch das zusetzt) – vielmehr sind es die Attentate, die Verres just zu dieser Zeit gegen mich und den M. Glabrio unternimmt, gegen das römische Volk, die auswärtigen Partner und auch gegen den Stand und Namen der Senatoren. Immer wieder hört man von ihm: Angst müsse nur haben, wer nicht mehr zusammengerafft habe, als er selbst brauche. Er aber habe soviel zusammengeschoben, daß es wohl für alle ausreiche; nichts sei so heilig, daß Geld es nicht zu entweihen, nichts so fest gepanzert, daß er es nicht zu erobern vermöge...
Dieser übergeschnappte Mensch denkt folgendermaßen. Er hat bemerkt: Ich erscheine so gut vorbereitet vor Gericht, daß ich seine Diebereien und Schandtaten nicht nur eurem Gedächtnis einprägen, sondern der gesamten Öffentlichkeit darstellen werde. Viele Senatoren, viele römische Ritter sieht er hier, als Zeugen seiner Dreistigkeit, weiterhin sind zahlreiche Bürger und Bundesgenossen gekommen, denen er schweres Unrecht zugefügt hat, dazu kommen viele Abgesandte eng befreundeter Staaten mit öffentlicher Vollmacht. Doch er hält ja nichts von den Rechtschaffenen, hält die senatorischen Gerichtshöfe für verkommen und verdorben, und darum erklärt er weiter ein ums andere Mal öffentlich, er sei ja nicht ohne Grund so versessen auf Geld gewesen, die Erfahrung zeige doch, welch mächtigen Schutz Geld biete. Er habe sogar – was äußerst schwierig gewesen sei – einen für ihn günstigeren Termin für den Prozeß gekauft, und so könne er danach desto leichter auch alles andere kaufen. Da er schon der Wucht der Schuldvorwürfe nicht ausweichen konnte, wollte er wenigstens die Aufwallung des ersten Augenblicks vermeiden...
So machte er sich, kaum aus der Provinz Sizilien zurückgekehrt, an die Bestechung des Gerichtshofs, für sehr viel Geld. Doch die Vereinbarung hielt nicht, weil die Richter bei der Volksversammlung abgelehnt wurden, wie im übrigen bei der Auslosung der Richter das Schicksal dem römischen Volk günstig war und die Pläne des Verres durchkreuzt hat... Da verwandelte sich plötzlich die fröhliche Laune des Verres in so tiefe Depression, als hätte ihn nicht nur das römische Volk, sondern er selbst sich schon verurteilt. Doch ecco! Seit ein paar Tagen, genauer, seit die Konsulatswahlen stattgefunden haben, hat er die alten Pläne wieder hervorgekramt und verfolgt sie mit noch mehr Geldmitteln als früher: Dieselben Leute wie vorher bereiten nun euren guten Ruf erneut dieselben Nachstellungen...“
Verres, der sich rühmte, immer für drei geraubt zu haben – für sich, für die Richter und für seine Anwälte –, wurde nach einem spektakulären Verfahren dennoch verurteilt, obwohl er mit seinem Geld noch die Wahl seines Günstlings Hortensius zum Konsul durchgesetzt hatte. Er sollte drei Millionen Sesterzen Strafe bezahlen, floh jedoch rechtzeitig ins Ausland. Cicero, damals 36 Jahre alt, stieg acht Jahre später selbst zum Konsul auf, zeigte sich allerdings selbst als Politiker und Mensch auch nicht immer als der große Saubermann, sondern sammelte seinerseits erheblichen Reichtum durch undurchsichtige Geschäfte. W. R.
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