: Streit um Hamburgs Wirtschaftsstrategien
■ Milliardensubventionen für Büros, Atomkraftwerke, Hafenerweiterung, Stahl- und Luftfahrtindustrie: Lohnt der Aufwand, oder werden die Weichen wieder falsch gestellt?
Die Arbeitslosenrate klettert, die Sympathiekurve für SPD und Statt-Partei purzelt, der regionale Wirtschaftsaufschwung hält sich in bescheidenen Grenzen. Währenddessen basteln der Senat und die Planungsstäbe der Behörden eifrig an einer gigantischen Konzeption, die Hamburg erfolgreich ins nächste Jahrtausend katapultieren soll. Was Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus einen „Quantensprung“ nennt, buchstabiert Stadtchef Henning Voscherau trocken als „Essentials“: Eine auf Wirtschaftswachstum ausgerichtete Stadtstrategie, in der großzügige Infrastrukturentscheidungen und eine enorme Ausweitung der bebauten Fläche die alles entscheidenden Eckpfeiler bilden.
Um als Hafenstadt, High-Tech-Industriestadt und Bürostadt im 21.Jahrhundert zu bestehen, muß, so der Grundgedanke, geklotzt werden. 1995 wird dabei zu einem der wichtigsten Jahre: Heuer fallen Grundsatzentscheidungen, welche Stadtkasse, Wirtschaftspolitik und Stadtentwicklung auf Jahrzehnte hinaus binden. Kritiker wie Hamburgs Stadtplanungschef Egbert Kossak, die Regionalökonomen der TU Harburg oder die der Regierungsteilhabe schon recht nahen Grünen warnen dementsprechend laut. Sie fordern die Prüfung von Alternativen und eine sanfte, integrierte Entwicklungsstrategie. Brennglasscharf beleuchtet die Kontroverse um die Hafenerweiterung in Altenwerder den Konflikt: Hafenverdichtung oder milliardenschwere Wachstumsoffensive?
1995 nun stehen etliche Großprojekte zur Entscheidung an: Hafenerweiterung, Flächennutzungsplan, vierte Elbtunnelröhre, außerdem die Stadtbahn.
Bis 1997 will Voscherau alle „Knackpunkte“ aus dem Weg geräumt haben
Süffisant hatte Henning Voscherau in den gescheiterten rot-grünen Koalitionsgesprächen im Herbst 1993 der GAL deshalb bedeutet, „bis 1997 sind alle Knackpunkte aus dem Weg geräumt“, die Großprojekte unverrückbar festgezurrt. Danach, so ließ der konservative Sozialdemokrat durchblicken, sei ein bißchen grüne Koalitionstünche durchaus verkraftbar. Doch selbst im eigenen Lager ist der neue Wachstumsglaube nicht unumstritten. Egbert Kossak: „Wir stellen dem Gewerbe jedes Jahr 30 Hektar frisch erschlossene Fläche zur Verfügung, verlieren aber jedes Jahr 4 Prozent Arbeitsplätze in diesem Sektor.“ Und: „Der Boden ist uns offensichtlich nichts wert“. Erregt verweist Kossak auf den Flächenfraß beim Gewerbe: „Eingeschossige Schuhkartons“, so Kossak, „und 30 Hektar an einer einzigen Stelle im Hafen, um ebenerdig Autos zu parken – das ist Wahnsinn.“
Dieser Wahnsinn hat Methode, wie der wirtschaftspolitische Braintrust um den TU-Regional-ökonomen Dieter Läpple analysierte: Das Riesenareal der spottbillig verpachteten Hafenflächen weist niedrigste Produktivität, minimale Wertschöpfung und fallende Arbeitsplatzdichte auf. Hamburg drohe, so das Fazit der Experten, mit der einseitigen Förderung flächenfressender Containerstapelhalden erneut einen folgenschweren Fehler zu begehen und die Entwicklung zur mischgenutzten Dienstleistungsmetropole mit verstärkten regionalen Wirtschaftskreisläufen zu verschlafen.
Problematische Weichenstellungen haben in der Hamburger Wirtschaftspolitik seit den 60er Jahren Tradition: Als München, Frankfurt und Stuttgart längst auf Dienstleistung und High-Tech setzten, subventionierte man sich vier Atomkraftwerke, die Aluminium- und die Stahlproduktion an die Elbe, eine Erblast, für die Hamburgs Steuerzahler und Stromkunden noch heute bluten. Und während sich heute die Avantgarde europäischer Metropolen- und Wirtschaftsplaner längst von High-Tech-Träumen (Airbus) und Infrastrukturoffensiven (Elbtunnel, Hafenerweiterung) verabschiedet, will Hamburg in den nächsten 15 Jahren die Wachstumsrezepte der 70er und frühen 80er Jahre ausprobieren.
Dem Widerstand von Parteien, Initiativen, ExpertInnen und BürgerInnen gegen die 4.Elbtunnelröhre und die Hafenerweiterung kommt denn auch laut Helmut Deecke, TU-Wissenschaftler und Hafenexperte, eine ganz besondere Bedeutung zu: „Gelingt es, endgültige Entscheidungen jetzt zu verhindern, bleibt die Chance für eine andere, bessere Weichenstellung erhalten.“ Florian Marten
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