: Mein erstes Mal
■ Heute: appoche, der Alexander Posch heißt und Laola-Club-Betreiber wie Inhaber eines Filtriermaschinchens ist, über harte Brötchen, goldene Sonne und übles Halskratzen, Kurz: Über seine erste Fahrt ins Ausland
Meine Eltern sind in erster Linie ängstlich. Das Portemonnaie wird in der Hosentasche festgehalten, wir kaufen nicht in Läden mit polnischem Namen, vor unseren Fenstern senken sich am Abend Jalousien auf die Fensterbänke. Eine Konzentration auf Heimisches erinnere ich, seit mein Gehirn erinnern kann. Wie das Radio abgestellt wurde, wenn es mehr als zwei Lieder in fremder Sprache hintereinander spielte, da die englische, die französische, die spanische Sprache den Kopf verwirrten. Wie die deutsche Küche Lob fand und mit dem Schwund gutbürgerlicher Lokale der Rückzug ins Heim begann, da wir nicht wußten, was der Chinese serviert, und der Mann von Frau Meyer war bereits über vierzehn Tage verschwunden. Hier lag die Ursache für Urlaube, die im Umfeld unserer Wohnung stattfanden. Zunächst erkundeten wir Hamburg, dann fuhren wir nach Mölln, Plön oder Bispingen und schließlich, ich ging in die Grundschule, erfuhren wir von einer Frau in Bodenmais, im Bayerischen Wald.
Die Frau führte eine kleine Pension, gerade groß genug für zwei Familien, uns und Platzeks aus Wattenscheid. Geld nämlich war vorhanden, wurde in dunkler Eiche angelegt und in Münzen, silbernen 10-Mark-Stücken, die mein Vater samstags in den Messehallen gegen andere 10-Mark-Stücke tauschte. Geld steckte im Mercedes, einem Auto mit breiten Ledersitzen, mit dem wir im Sommer eine halbe Ewigkeit nach Süden fuhren.
Die Frau hatte siebzehn Hühner, einen Hahn, zwei Ziegen und einen Wellensittich, der Paul hieß. Sie war in Preußen geboren worden und ihrem Mann nach Bayern gefolgt. Von der Dorfbevölkerung wurde sie wegen ihrer Herkunft gemieden. Meine Eltern und Platzeks hingegen waren froh über ihr Hochdeutsch, während sie die Einwohner Bodenmais', Regens, Kötztings nicht verstanden. Morgens gab es harte Brötchen und Butter und Pflaumenmus aus dem Plastiktöpfchen, nachmittags wurde gewandert (Kleiner Arber, Großer Arber, Wald), abends im „Gasthof zur Post“gegessen. Bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr fuhren wir jeden Sommer nach Bodenmais, dann war die Frau tot.
Das Ende der Pension bedeutete unsere Rückkehr nach Norden, ins Schneckenhaus der eigenen Wohnung. Es folgten verirrte Ferien an den Stränden von Nord- und Ostsee, Fahrten, die uns bis an die holländische Grenze führten, und dann, ich hatte gerade meinen siebenundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, wagten meine Eltern eine Reise nach Südtirol, eine Fahrt in einen Landstrich, der niemals zu Deutschland gehört hatte, der einmal ein Teil Österreichs war: Österreich, du fernes, fremdes Land, sangen wir, als wir mit dem Mercedes die Autobahn hinunterfuhren.
Zwischen Crailsheim und Aalen klagte meine Mutter über die Hitze im Wagen. Wir kurbelten die Fenster herunter und kauften an der nächsten Raststätte zwei eiskalte Mineralwasserflaschen, aber zur Hitze kam ein Kratzen im Hals, eine Art Brechreiz oder ein Zuschnüren der Atemwege, sie schluckte so schwer, daß wir zunächst in einer Memminger Apotheke ein Fieberthermometer kaufen und, nachdem wir das Ergebnis gesehen hatten, einen Arzt in Kempten aufsuchen mußten.
Meine Mutter hatte sich viermal übergeben. Sie wurde in das örtliche Krankenhaus eingewiesen. Mein Vater und ich nahmen uns ein Zimmer in einem günstigen Hotel. In der Nacht überkam auch ihn eine plötzliche Schwäche. Ihm stand kalter Schweiß auf der Stirn, und er sprach in zusammenhanglosen Sätzen, so daß er noch am selben Tag sein Hotelbett mit einem im Krankenhaus tauschte.
Täglich besuchte ich meine Eltern, brachte ihnen Blumen und Konfekt ans Bett. Wir unterhielten uns über das Essen und die Sonne, die golden in ihre Fenster schien. Nach der Verabschiedung zuckelte ich mit dem Wagen durch die Gassen Kemptens.
appoche
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen