piwik no script img

Marx, Peace & Petticoat – Chips, Bex & Love-Parade

■ Jugendring wird 50: Die letzten 50 Jahre aus jugendlicher Sicht / Borttscheller zur Debatte um Gaffiti-Kunst - angefragt

Anstelle graumelierter Politiker leuchten neuerdings wirr bis sexy verkleidete Schaufensterpuppen und verrückte Grimassen in grellen Farben aus jeder Ecke der unteren Rathaushalle. Auf einigen solcher „Sprayer-Kunstwerke“ist aus wilden, farbenfroh gestalteten Formen der Schriftzug: 50 Jahre Bremer Jugendring zu entziffern. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Graffiti Ausstellung. Es geht um „Ausblick – Rückblick – Selbstdarstellung“der Bremer Jugendverbände. Vom Jugendring gesponsert entstand diese von jungen Verbandsmitgliedern selbst erdachte, eigens erarbeitete und ohne proffessionelle Hife verwirklichte Austellung zum 50sten Geburtstags des Dachverbandes.

Drei Monate intensive Zusammenarbeit von anfangs 16 emsigen Leuten ergaben ein gelungenes Resumee von Jugendarbeit, Jugendpolitik und Jugendengagment der letzten 50 Jahre. Neben Fotowänden als Einblick in das Verbandsleben auf der einen Seite, werden auf der anderen Seite (der Halle) die Schwerpunkte der Jugendkultur der vergangenen fünf Jahrzehnte dargestellt. Einzelne Räume spiegeln die Werte der Jugend der jeweiligen Jahrzehnte wieder. Im Raum der 50er Jahre hängen als Einstieg einige historische Hintergrundinformationen zur Entstehung des Jugendrings 1947. Damals zählte der Ring gerade mal 1.800 Mitglieder. Heute vertritt er gegenüber der Politik die Interessen von 22 Verbänden mit insgesamt 100tausend Mitgliedern, von denen allerdings bei weitem nicht alle aktiv seien, so die Geschäftsführerin Marina Stahmann.

Ein zeitgemäßer, brauner Sessel mit stilgleicher Lampe füllen eine gemütliche Wohnzimmerecke im Modetrend des Jahrzehnts. Mädchenstickereien und James Dean als Wandschmuck reflektieren die Vorstellung der jungen Leute in den 50ern. Mit ihren knalligen Farben und runden Formen stechen die Tapeten der 60er ins Auge. Gelbe, rote, grüne Wände geben den Rahmen einer klassischen Kifferszenerie – mit dem Original einer Hanfpflanze in der Ecke. Schwerpunkt: Peace – oder vielleicht Frieden durch friedliches Pfeife rauchen?! Karl Marx und Che Guevara strahlen die BetrachterInnen von den rotgestrichenen Wänden des Raumes der 70er an. So wird nur allzudeutlich an die politische Orientierung der jungen Menschen dieses Jahrzehnts erinnert.

In einem Jugendzimmer steht ein C64 im Mittelpunkt, daneben ein Joy Stick, um die Anfänge der Computergeneration zu symbolisieren. Die Wände tapeziert mit Blättern aus Mickey-Mouseheften und Stars, wie Sandra, Madonna und Tina Turner ergeben vermischt mit der Neuen Deutschen Welle die Zusammenfassung der 80er Jahre. Vor dem flimmernden Fernseher im Raum dieses Jahrzehnts sind Chipstüte, Becksdose und Marspapier drappiert. Repräsentativ für die 90er. Die Wände sind beklebt mit vielen bunten Bildern – viel Werbung. Im Mittelpunkt stehen farbenprächtige „Flyer“für Techno- und Jungle-Parties, am Rande Plakate der Castorbewegung.

Ein paar Schritte weiter ist die Kinoecke. Kultfilme der letzten 50 Jahre (Easy Rider, Tanz der Vampire, Einer flog übers Kuckucksnest, König der Löwen oder „Die Blechtrommel“) werden hier in den kommenden zwei Wochen gratis zu sehen sein. In der Aktivitätenecke geben Kids und Teens ihrer Fantasie bunte Formen. Aus Fimo geknetet gibt es schon reichlich witzige Schlangen und Würmer, Schneelandschaften, Karibikinseln und diverse Fantasiegestalten.

Zum Hörspiel „Der kleine Vampir“entstehen drollige Schnecken und Schmetterlinge, lustige Gesichter, Blumen und Walfische. Sogar Fliegende Teppiche schweben lautlos über der Spanplatte. Geplauscht werden kann beim Kaffee im improvisierten Cafe. An den Tischen auf der mit echtem Rasen bedeckten Bühne sollen bald geladene Diskussionspartner, wie Innensenator Borttscheller zum „Blind Date“Platz haben. Zur Diskussion mit Borttscheller sollen junge „Sprayer“sowie Beamte aus dem „Anti-Graffiti-Kommando“der Bremer Polizei geladen werden, um über die Problematik des illegalen Sprühens zu sprechen. Noch ist allerdings keine Zusage da.

Nina Lepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen