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Tanz auf dem Seil

■ Hoch geflogen und tief gefallen. Peter Sehrs Dreiecksgeschichte "Obsession" ist oft unfreiwillig komisch, aber selten leidenschaftlich. Nur Heike Makatsch gefällt

Zwei Männer lieben eine Frau, eine Frau liebt zwei Männer. Eine alte, unendlich komplizierte Geschichte, die sich aber durchaus locker und einfach erzählen läßt: Man denke an den großen Klassiker dieses Genres, „Jules et Jim“ von Henri-Pierre Roche, und die kongeniale Verfilmung von Truffaut.

In Peter Sehrs Film „Obsession“ spielt diese Dreieckthematik auf gleich drei verschiedenen Ebenen eine Rolle, und wie sich das gehört für einen Film, der keine profane deutsche Komödie sein will, müssen Gefühle, Leidenschaften und Lebensentwürfe möglichst bedeutungsschwanger um die Ecke kommen. Das kann mitunter dauern.

Eine geschlagene Stunde muß man ausharren, bis die verknäulte Geschichte einigermaßen auf den Weg gebracht und den Protagonisten ein Mindestmaß an Profil verpaßt ist. Da ist also Miriam (Heike Makatsch), die auf Schritt und Tritt ihre Kamera dabei hat und auf Trauerfeiern und in einer Girl- Band die zweite Trompete spielt; da sind Pierre (Charles Berling) und John (Daniel Craig) ihre beiden Liebhaber: der eine ein französischer Arzt, der Tag und Nacht die Reaktionspotentiale von Herzmuskelzellen erforscht, der andere ein Steinmetz aus Simbabwe, der in Berlin einem alten Familiengeheimnis auf der Spur ist. Und dann sind da noch die Gebrüder Frischmuth (Seymour Cassel und Allen Garfield), zwei alte jüdische Schneider und Puppenbastler, bei denen John Unterschlupf findet: Beide haben sie ebenfalls gemeinsam ein Liebesding mit einer Kundin (Marie Christine Berrault) am laufen.

Der rote Faden aber, der sich von Anfang bis Ende durch „Obsession“ schlängelt, ist das Rätsel, das John zu lösen versucht. Er besitzt ein Foto, das einen Drahtseiltänzer mitsamt Frau auf dem Rücken bei einem Balanceakt über die Niagarafälle zeigt. Nicht zu erkennen sind die Gesichter der beiden, und John sucht nun einen Dokumentarfilm, der seinen Verdacht bestätigt, daß die Frau auf dem Foto seine Großmutter ist. Diese mußte wegen ihrer heimlich-ehebrecherischen Liebe zu dem Drahtseiltänzer sterben.

Komplizierter wird es dann nicht mehr. Doch so übertrieben konstruiert die drei Handlungsträger des Films sind, so leblos und papieren wirkt der gesamte Film. Die im Titel beschworenen Obsessionen muß man sich schon selbst imaginieren, und auch von unzähmbarer Leidenschaft kann nicht die Rede sein, wenn Pierre und John sich abwechselnd ihr Stelldichein mit Miriam geben – die Liebeszenen haben zuweilen nicht einmal die Erotik „künstlerisch wertvoller“ Erotikfilme öffentlich-rechtlicher Fernsehsender, mithin also gar keine. Und selbst wenn Miriams Band „Berlin United“ heißt: Berlin dient in „Obsession“ als pittoreske städtische Kulisse, die nicht einmal durch die Existenz der ehrpusseligen Schneider an Charakter gewinnt: Wie so vieles strömt die versunkene osteuropäisch-jüdische Welt, die man hier beschwört, nicht mehr als den Geruch von allzuviel überflüssiger Requisite aus.

Die eigentliche Zuspitzung erfährt die Geschichte von Miriam, Pierre und John dann auch in der französischen Provinz, wo es sich selbstverständlich noch romantischer von Kabale und Liebe erzählen läßt: Erst liebt Miriam Pierre, dann liebt sie John, dann trennt sie sich von beiden, und schließlich entscheidet sie, daß sie nun mal alle drei zusammengehören – alles oft sehr lächerlich und unfreiwillig komisch in Szene gesetzt. Da helfen auch die guten Leistungen der Schauspieler nicht, allen voran Heike Makatsch. Ihr dabei zuzuschauen, wie sie kokett, neckisch, charmant und sympathisch unbedarft durch den Film trippelt, macht zumindest einigen Spaß.

„Wenn du dein Gleichgewicht findest, kannst du nicht fallen, ganz gleich, wie hoch du bist“, ist das einmal zitierte Motto dieses Films. Ein Sinnspruch, den man gern auch auf Abreißkalendern in Umkleideräumen von Krankenhäusern oder Fabriken liest. Nimmt man Truffauts „Jules et Jim“ als Meßlatte für Peter Sehrs Film, kann man nur sagen: Hoch geflogen, tief gefallen. Gerrit Bartels

„Obsession“. Regie: Peter Sehr. Drehbuch: Peter Sehr & Marie Noälle. Kamera: David Watkin. Mit Heike Makatsch, Charles Berling, Daniel Craig u.a. Deutschland/Frankreich 1997

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