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„Altbewerber“ kommen wieder

Die Lehrstellensuche läßt junge Leute buchstäblich alt aussehen: Jedes Jahr wird die Bewerberschlange lang und länger. Auch jetzt. Und am Montag beginnt das neue Ausbildungsjahr  ■ Aus Berlin Annette Rogalla

Sie rennen sich die Hacken ab: Wie viele junge Leute immer noch ohne Ausbildungsvertrag unterwegs sind, vermag momentan kein Statistiker zu sagen. Immerhin pendelten Ende Juli noch 216.355 zwischen Arbeitsamt, Berufsberatung, Lehrstellenvermittlung und Betrieben. Und am Montag beginnt das neue Ausbildungsjahr.

„Eine Schande“ sei es, so Bundeskanzler Kohl, wenn die Industrie nicht genügend Ausbildungsplätze bereitstelle. Doch schämt sich hier wer? Zur Zeit beteiligen sich 70 Prozent aller Betriebe nicht an der Berufsausbildung. In den vergangenen fünf Jahren wurden 100.000 Lehrstellen gestrichen. Kürzlich stellte das Berufsbildungsinstitut fest, daß jeder vierte Ausbildungsbetrieb sein Lehrstellenangebot in den nächsten drei Jahren zurückfahren will. Die Zahl der Bewerber aber wird weiter steigen.

Die Wirtschaft bilde zuwenig aus, bemängelte auch Bildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU). Die Gescholtenen sind beleidigt. Viele Unternehmer seien verärgert, immer wieder werde die Wirtschaft „pauschal in ein soziales Abseits gedrängt“, konterte Hans-Peter Stihl, der Präsident des Deutschen Industrie und Handelstags. Trotz aller Unkenrufe sei alles im Lot. Wie in den vergangenen Jahren, so auch 1996, werde man am Ende eine ausgeglichene Lehrstellenbilanz präsentieren. Eine gewagte Aussage: Ende 1996 waren zwar 625.000 neue Lehrverträge unterzeichnet, dennoch standen 33.500 ohne Ausbildungsplatz da. In diesem Jahr dürften es wesentlich mehr sein.

Rein rechnerisch standen den 216.355, die im Juli eine Lehrstelle suchten, nur noch 86.251 offene Stellen gegenüber. In manchen Regionen, etwa in Sachsen, gibt es in diesem Jahr gebietsweise nur eine Lehrstelle für fünf Azubis. Bei den meisten Lehrstellen hilft ohnehin der Staat nach: Rund 60 Prozent der Ausbildungsplätze bekamen im vergangenen Jahr direkte staatliche Zuschüsse.

Auf die Moral der Unternehmer scheint wenig Verlaß. Deutsche Großunternehmen hätten ihm nach einer großangelegten Briefaktion versichert, in diesem Jahr 100.000 neue Lehrstellen anzubieten, dies seien 4,7 Prozent mehr als im Vorjahr, beteuert Minister Rüttgers. An solche Erfolgsmeldungen mag Ausbildungsexperte Volker Rebhan in der Bundesanstalt für Arbeit aber nur glauben, wenn er sie in seiner hauseigenen Bilanz sieht. „Diese 100.000 neuen Ausbildungsplätze haben sich bei uns in der Statistik noch nicht niedergeschlagen.“

Trotzdem reagieren einige Wirtschaftsunternehmen auf die Hilferufe. Daimler Benz-Personalchef Heiner Tropitzsch ließ mitteilen, sein Unternehmen stelle in diesem Jahr 3.000 junge Menschen ein, zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Die Deutsche Bank Stiftung startete eine Kampagne: „Mehr Ausbildungsplätze – jetzt!“ Der Stiftungsrat machte 13,5 Millionen Mark locker. Mit dem Geld zahlt die Bank drei Jahre lang für 500 zusätzlich geschaffene Ausbildungsplätze bei kleineren und mittleren Unternehmen die Hälfte des Lehrlingslohns. Mit Anzeigen sollten auch andere Sponsoren gelockt werden. Doch scheint der Erfolg der Aktion gering. Zwar gingen 5.000 Einzelspenden bei der Deutschen Bank ein, „zwischen 10 und 50.000 Mark“, wie Stiftungsmitarbeiterin Susanne Weinbörner versichert. Doch die Gesamtsumme will sie nicht nennen. Weinbörner hofft, Ende September Zusagen für insgesamt 1.300 neue Ausbildungsplätze geben zu können. Zu Beginn der Aktion hatte sie noch 3.000 Lehrstellen avisiert. Resigniert seufzt Weinbörner: „Appelle von Politikern sind ermüdend.“

Wer nichts findet, sieht buchstäblich alt aus – erfolglose Lehrstellensuchende werden zu „Altbewerbern“. Bewerben, Absagen, bewerben, Absagen. Wer keine Stelle ergattert, landet in der „Warteschleife“, absolviert meist ein praxisorientiertes Berufsvorbereitungsjahr oder ein Berufsgrundbildungsjahr. Immer mehr hocken in dieser vollstaatlich finanzierten Schleife. 1995 waren es in den beiden Typen bereits 92.900. Allein im Berufsvorbereitungsjahr stieg die Zahl der Schüler in den vergangenen vier Jahren um 73 Prozent. Wer in einer Parkposition sitzt, taucht nicht in der Arbeitslosenstatistik auf.

In staatlich finanzierten Warteschleifen wird die Not bestenfalls verwaltet. Bessere Bewerbungsvoraussetzungen schaffen sie nicht. Im Bereich des Arbeitsamtes Berlin kommen inzwischen 41 Prozent der Lehrstellenbewerber nicht mehr direkt von der Schule, sondern aus einer Parkposition. 1995 waren es noch 37 Prozent.

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