: Am Ende steht ein blinder Fleck
Lady Di und das Unvorstellbare. Dreizehn Einstellungen aus einer Pariser Nacht ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Eloge auf das Autofahren im trunkenen Zustand. Es fühlt sich, kurz gesagt, einfach besser an. Schneller als sonst tut das Auto direkt das, was der Fahrer will. Brillant ist der Moment, in dem das Fahrzeug seine Reisegeschwindigkeit erreicht. Es gibt nichts mehr, was aufhält, vor allem nicht die Mechanik unter den eigenen Füßen. Die Fahrt nähert sich dem Fluge. Hindernisse sind nicht vorgesehen; oder genauer: sie werden anders interpretiert. Eine Kurve, eine verengte Straßenführung, die Lichter des Gegenverkehrs steigern die Wirkung der Geschwindigkeit, die der Fahrer als die seine, die ihm gemäße gewählt hat. Das zwingend Subjektive dieses Erlebnisses (ein Rausch im Rausche) hat ein britischer Verkehrsexperte so zusammengefaßt: „He would have felt himself immortal.“ Damit war der Mann am Steuer gemeint, Henri Paul; ein Name, der so schön ist, daß man auf französisch nach ihm einen Cognac, auf schottisch einen Whisky benennen könnte.
Eine Wettfahrt oder eine Flucht? „Diesmal kriegt ihr uns nicht!“ soll Henri Paul den Fotoreportern zugerufen haben. Selbst wenn der Satz erfunden wurde, um die Fotografen zu entlasten, liegt darin ein Rest von Wahrheit. Denn Henri Paul hat versucht, mit einem Vehikel auf vier Rädern den Verfolgern auf zwei Rädern zu entkommen. Es sollte, in dieser Pariser Nacht, etwas bewiesen werden, was zu beweisen nicht geht.
Mittellose Zwerge. Henri Paul war nicht Fahrer von Beruf, sondern zweiter Sicherheitschef des Ritz. Er wuchs auf in Lorient, einem Marinestützpunkt und Fischerstädtchen an der Küste der Bretagne. Die französische Luftwaffe verließ er, mit 28 Jahren, als Hauptmann. Er war ein stiller Typ, der Zigarillos rauchte und Gesellschaft mied; unverheiratet, 41 Jahre alt, als er starb. Der Bodyguard von Dodi Al Fayed heißt Trevor Rees-Jones und ist ein britischer Exsoldat. Er diente in einem Fallschirmspringerbataillon, vom August 1987 bis zum August 1992. Er war zweimal in Irland und ist ein Golfkriegsveteran. Seine Ehefrau Sue war vormals Einkäuferin bei Harrod's gewesen und hatte den Kontakt zu den Al Fayeds hergestellt, denen das Londoner Kaufhaus gehört. In der Gruppe der vierzig Bodyguards der Familie Al Fayed wurde Rees-Jones „Dodis Schatten“ genannt. Im Vergleich mit den Luxusgestalten, denen die Hotels gehören, in denen sie absteigen, und auch die Flugzeuge, in die sie einsteigen, sind die Exsoldaten mittellose Zwerge. Sie umstellen das Leben der Vorzeigezivilisten mit einem Netzwerk militärischer Tradition. Sie männerbündeln. Sie sind Spielkameraden ohne Rang.
Alle Stränge durchgebrannt. Rees- Jones ist dafür verantwortlich, daß Dodi keinen Schaden nimmt. Er selbst hat keinen Grund, ohne Grund sein Leben zu opfern. Ihm kann nicht entgangen sein, daß das Liebespaar und der Fahrer nicht angeschnallt sind. Er muß sofort erkannt haben, daß Henri Paul, der im Auto gewartet hat, nicht nüchtern ist. Auf der Wegstrecke von gut drei Kilometern überfährt Henri Paul zwei rote Ampeln. Der Wagen schlingert. Warum kann Rees-Jones ihn nicht zur Ordnung rufen? Was hält die Multimillionäre davon ab, den französischen Piloten zurückzubeordern in die Wirklichkeit? Alle Stränge sind durchgebrannt. Zugleich.
Eigenes Leben. Diana Spencer wollte der englischen Monarchie aufhelfen, kannte sie aber nicht. Sie war das dritte Kind einer Ehe, die unter dramatischen Umständen geschieden wurde, als Diana sieben war, die Obhut der Kinder fiel an den Vater – also an die Nannies. Ihre Mutter wechselte aus der gepflegten Langeweile des kleinen Adels an die Seite eines Geschäftsmannes, von dem sie allerdings später verlassen wurde. Dianas Geschichte, heißt es im Klappentext der 1992er Biographie von Andrew Morton, ist die „eines Mädchens, das Prinzessin wurde, bevor sie eine Frau wurde, und die Geschichte einer Frau, die im Unglück zu sich selbst gefunden hat“. Vor dem gewaltigen erstarrten Panorama des beschränkten Hauses Windsor fand Diana, als Traumprinzessin beneidet und vergöttert, heraus, daß es nur ein Leben gibt und daß es zu schade sei, es als Farce zu spielen, bis es Tragödie werde. Während die Staatsbetriebe privatisiert und die Traditionen der Familie beschworen wurden, lebte Diana noch einmal vor, was Emanzipation bedeutet: eine Befreiung von der Konvention unter Schmerzen. Mit ihrem verhinderten Charme, der als Trotz zu großer Form auflief, wuchs sie zur Projektion der mutigen Frau, die lieber ihr eigenes Leben auf dem Seil tanzt, als im Verließ des Patriarchats Schimmelpilz zu kultivieren.
Eine Madonnengestalt. Um das moralische Primat der Windsors zu brechen, brauchte Prinzessin Diana die hämischen englischen Massenmedien. Sie wurde nicht zuletzt deshalb ein Liebling des Volkes, weil sie ihr Dilemma preisgab, anstatt es zu verbergen. Sie brauchte die Presse, um ein interessantes böses Mädchen zu sein; und sie brauchte das Fernsehen, um sich als gute Fee in Szene zu setzen. Die einmütige Hysterie der Trauer, die Girlies und Hausfrauen aller Farben in England zur Zeit ergriffen hat, läßt den Verdacht aufkommen, daß das protestantische England aus der Pariser Katakombe eine Madonnengestalt entsteigen sieht, die direkt überführt wurde ins nationale Tabernakel. Dem Staatsprotestantismus Englands ist innerhalb einer Woche ein profaner Volkskatholizismus zur Seite gestellt worden.
Gemeinsamer Groll. Dodi Al Fayed war ein auf naiv machender, leicht speckiger Playboy von 41 Jahren, „der im Hauptberuf als Sohn arbeitet“, wie der Stern letzte Woche, drei Tage vor dem Unglück, wissen ließ. Sein Vater Mohamed gab den ägyptischen Geschäftsmann, der schon vor langem das Pariser Ritz und später das Londoner Kaufhaus Harrod's kaufte. Über die Modalitäten legte er sich mit der britischen Regierung an. Es ist nicht abwegig, anzunehmen, daß Lady Diana den Al Fayeds in ihrem Groll gegen das britische Establishment verbunden war. Das Modell der Liaison, die am Todestag durch die Sun mit Tele-Fotos belegt war, sollte die Ehe von Jackie Kennedy und Aristoteles Onassis sein, in einer abstrusen ödipalen Variante.
Urszenen. Als „Urszene“ hat Sigmund Freud die Vorstellung des Kindes von der geschlechtlichen Vereinigung der Eltern bezeichnet. Sie ist besetzt mit Mißdeutung, Faszination und Auflehnung. Es ist das Bild, das gebraucht wird, um das Rätsel der eigenen Herkunft zu lösen. Es ist aber auch das Tabu, das über dem Instinkt schwebt. Die Sexphantasien der Massen in bezug auf die Prominenz verlängern das Spiel mit dem Ekel, sehen zu wollen, was man nicht sehen darf. Insofern folgen die Paparazzi einem Bild, das – wenn es existierte – wertlos wäre. Niemand will es wirklich sehen, niemand würde es publizieren. Die Sensationsfotografen sind Relais im immerwährenden Vorspiel. „We are not paid to think, just to take pictures“, hat ein Paparazzo zu Protokoll gegeben. Am Ende der Jagd steht immer ein blinder Fleck.
Ein falscher Vergleich. Vor 24 Jahren verbreitete dpa ein Foto, das einen chilenischen Soldaten zeigt, das Gewehr angelegt auf den Betrachter. Dies war das letzte Bild in der Kamera von Leonardo Henriksen, den man tot fand. Das Bild zeigt seinen Mörder; es zeigt aber auch einen falschen Vergleich. Auch wenn der Fotoapparat nach dem Vorbild der Waffe gebaut ist und deren Terminologie auf sich gezogen hat („ein Foto schießen“), ist die Unähnlichkeit entscheidend, nicht die Ähnlichkeit. Diese Einsicht befördert der Künstler Timm Ulrichs, der für seine soeben in Berlin eröffnete Ausstellung „Der detektorische Blick“ ein Tableau notorischer Reporterszenen zusammengetragen hat, das auf der chilenischen Szene gründet. Die meisten Bilder, auch wenn sie wie Straßenkampf aussehen, sind dennoch klassisch paparazzi. Das geht so: Der eine Fotograf, der am Gorilla oder Schutzmann aufläuft, macht aus der Szene ein Drama. Der andere fotografiert. Das Prinzip, zeigt Ulrichs, ist allerdings universal: Ein blutender Fotograf, der von einem schwer gepanzerten Polizisten gepackt wird, ist genauso ein Statist für jenen Kollegen, der von der Situation profitiert.
Ein bewegendes Bild. „Diana“, sagt der Arzt und erste Helfer am Unfallort, Frédéric Maillez, „hatte das Bewußtsein verloren. Sie stöhnte und gestikulierte in alle Richtungen.“ Welch ein bewegendes Bild: ein Körper in totaler Agonie, der über seinen hoffnungslosen Zustand mit allen Mitteln des Menschlichen Beschwerde führt, ohne Bewußtsein, ohne Gedächtnis.
Ohne Bewußtsein. Die Fotografen, heißt es, hätten das Auto, das Henri Paul steuerte, gejagt. Am Ort des Unfalls hätten sie Fotografien gemacht. So ergibt sich die logische Verbindung, daß die Paparazzi die Bilder machten, die sie eigentlich hätten haben wollen. Davon kann aber keine Rede sein. Nicht nur die „Urszene“ ist von vornherein zensiert, das Bild „des kleinen Tods“; sondern auch das Bild des Todes, das unter dem Gejaul der Reifen und dem explosionsartigen Krach der Kollision den Jägern des Vorspiels entgegensprang. Sie mögen furchtlose und vielleicht herzlose Vertreter ihrer Zunft sein. Aber man kann nicht ausschließen, daß sie ohne Bewußtsein gestikulierten. So wie die sterbende Prinzessin auch.
Angeblich ekelhaft. Die Bild-Zeitung vom Montag brachte ein erstaunliches Foto vom Unfallort. Der Mercedes S280, von hinten aufgenommen, sah beinahe unbeschädigt aus. Helfer in orangen Anzügen waren in den Wagen gebeugt. Eine Szene, wie im Kinderzimmer nachgestellt. Englische Hausfrauen, die das Foto niemals gesehen haben können, bestätigen mit Falten auf der Stirn – vor laufenden Kameras –, es sei „disgusting“.
Nach der Champagnernacht. Die Berichterstattung und die moralischen Diskussionen der Woche sind um ein schwarzes Bild gebaut. Niemand hat es gesehen. Daß es, wie BBC täglich meldet, für eine Viertel Million Dollar angeboten werde, besagt in der harmlosesten Variante, daß niemand, der Medien kontrolliert, es für diesen Preis zu erwerben bereit ist. Chefredakteure und Kommentatoren rufen „mea culpa“. Sie beten inständig zur englischen Muttergottes, sie möge uns verzeihen. Ein Trauernder beschuldigte am Zaun von Kensington schriftlich sich selbst. Er sei auch Leser von Zeitungen. Nachdem die letzte Champagnernacht zu Ende gegangen ist, wird es wieder einmal Zeit für Einkehr. Aber die Priester wissen, daß ihre Sünder nur von den Sünden sprechen, die sie sich zur Not auch selbst verzeihen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen