: Mittendrin und doch daneben
Der „Raid Gauloises“ 1997 auf den Spuren der Buschmänner. Extremsport in der freien Natur des südlichen Afrikas – für die Franzosen ist dies ein Event von nationalem Rang ■ Von Uwe Wandrey
Fünf Uhr morgens, die Sonne steht schon über dem Bergkamm. Während der Nacht ist schwerer Regen niedergegangen, der lehmig-trübe Fluß angeschwollen. Von den Strohdächern der Lehmhütten drüben am Uferhang steigt Dampf auf. Über dem dunklen Unisono des Umkomazi-Rivers liegen plötzlich helle Stimmen. Schwarze, schlanke Leiber schwirren durch die Maisfelder. Dann gleitet eine Kinderkette zur Uferböschung herunter, Hosen, Hemden und Röcke werden abgestreift und über einen Autoschlauch geworfen. Die Kinder springen ins Wasser und treiben den Schlauch vor sich her. Ein Bild des Friedens in Kwazulu-Natal, dort am anderen Ufer des Umkomazi.
Von irgendwo flußaufwärts ein brummendes Schrubben. Vögel fliegen auf. Ein Helikopter schiebt sich ins Bild, steht über den Kindern, schießt auf die Krals zu, drückt sich in die Landekurve und hockt sich auf die Wiese diesseits des Flusses. Jemand läuft, mit einer großen Videokamera bewaffnet, gebückt auf den Hubschrauber zu und zwängt sich durch den Einstieg. Schon schraubt sich das metallene Insekt wieder in die Luft. Der erste Presseeinsatz heute morgen für den „8. Raid Gauloises 1997“, die internationalen Wettkämpfe in Sachen Extremsport. Immerhin sind hundert Journalisten mit im Rennen, Kameras und Laptops wollen gefüttert werden. Dieses Mal in Lesotho und der Republik Südafrika.
Der Lärm hat das Camp IV aufgescheucht, aus Iglu-Zelten kriechen verschlafene, zerzauste und bärtige Gestalten und reiben sich die Augen. Pressemenschen, Organisations- und Assistenzteams. Am Cateringstand werden die Tische gewischt, Wassertöpfe und Bratpfannen über die Flammen gerückt. Ein Hauch von Goldgräberstimmung hängt über dem Tal. Doch dann schnarrende Stimmen über CB-Funk. Tag 8 des Rennens ist angebrochen. Die ersten vier Teams sind gestern abend aus den Schlauchbooten und nach kurzer Rast und Kleiderwechsel auf die Mountainbikes gestiegen: 160 Kilometer auf verregneten, kleinsten Pfaden durch die Walachei. DIe ersten könnten schon Camp V erreicht haben. Und morgen dann: Paddeln ins Finale.
„Job?“ „Job?“ Die Kinder von drüben haben den Fluß durchschwommen und bieten ihre Dienste als Kleider- und Tellerwäscher an. Ein Zulu bettelt nicht. Wer keinen Job bekommt, guckt irgendwo zu. Zum Beispiel, wie jetzt die Österreicher heranrudern, das wabbernde Gummiboot aufs Ufer ziehen und sich am Checkpoint-Strand etwas ins Tourenbuch eintragen lassen. Wie sie vor dem Assistenzzelt ins Gras sinken. Wie sie die Netzhemden und Schwimmwesten abstreifen, die Gurte aufreißen, Helme ablegen, sich aus den engen Schweißtrikots schälen, die Schuhe aufreißen und die Socken auswringen. Barfuß, barhäuptig und barbrüstig stehen die Schwarzen da, bestaunen die cremebemalten Weißnasen in ihren knalligen Kampftrachten. Was wohl die bunten Zeichen darauf bedeuten? Sollen sie die bösen Geister vertreiben? Hat wohl nicht geklappt, warum schauen diese Menschen so finster. Warum singen sie nicht?
Ja, warum nicht? Der Raid Gauloises von 1997 – auf den Spuren der Buschmänner – war kein Familienausflug: Die steilen Berggrate und engen Schluchten der Drakensberge, die Stromschnellen, Riffe und Felsüberhänge im Oberlauf und die engen Canyons im Unterlauf des Umkomazi, verregnete Pfade und das Klima (bis zu 40 Grad im Schatten, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, kühle Nächte, Regen, Gewitter) machten ihn härter als alle vorangegangenen. Nasse Füsse, Fußblasen und zuviel Gepäck bereiteten die Hauptprobleme.
Zum Start am Monk's Cowl, nahe der Grenze zwischen Südafrika und Lesotho, waren 45 Teams mit 225 Teilnehmern aus 15 Ländern dabei, darunter sieben Deutsche. Nach 200 Kilometern Trekking über mehrere Dreitausender Lesothos folgte eine Kajak- Wildwasserstrecke auf dem Orange-River. Dann 90 Kilometer mit Pferden auf rutschigen Gratpfaden. Danach Abseilaktionen in den Drakensbergen, wiederum Trekking, dann Floßfahrt auf dem Umkomazi-River, der dann mit dem Flying Fox, einer Art Seilrolle, überquert werden sollte. Nach der Floßpartie 160 Kilometer Mountainbiking. Spätestens hier hatten die meisten Teilnehmer mindestens einmal ihre Leistungsgrenze erreicht. So mancher klappte am Checkpoint zusammen, wurde mit Trost und Elektrolyten wieder auf die Beine gebracht. Das einzige deutsche Team, das Wolfsburger, wurde schon nach elf Stunden wegen gesundheitlicher Probleme aus dem Rennen genommen. Zwei seiner Mitglieder liefen in einer geschrumpften französischen Mannschaft weiter.
Thomas Schmidt, Raid-erfahrener deutscher Teilnehmer in dem südafrikanischen Team „Sun International“, das auf Platz 9 landete: „Mit fehlen die ersten fünf Tage fast ganz, irgendwo ist der Film bei mir gerissen. Wir haben nur Druck, Druck, Druck gemacht. Erst vom Pferderücken aus konnten wir die Landschaft so'n bißchen betrachten.“ Mitten im Busch und doch nichts gesehen?
Vielleicht war der Kontakt zu der Natur zu nahe: Sonnenbrandwunden, Biwakieren in der Wildnis, Sturz vom Kajak ins reißende Wildwasser. Pferde rutschten auf schmierigen Trails die Hänge hinunter, Reiter rissen sich Haut und Kleidung auf. Erstaunlich, daß nur einer ins Krankenhaus geflogen werden mußte.
Da die Stoppuhren tickten und es mit der Sprache haperte, waren die Kontakte zwischen Buschmännern und ihren Epigonen auf Gesten und Zeichen reduziert: Auf der Mountainbike-Strecke sollten die Athleten über den Mzimkhulu- River setzen. All die Hubschrauber, Geländewagen, Schlauchboote, Leinen, Funkgeräte hatten die Einheimischen neugierig gemacht. Sie möchten wissen, was das Ganze soll. Jemand vom Checkpoint malt mit der Hand einen Bogen in die Luft und zeigt aufs andere Ufer. Jetzt sind die Zulus schließlich ganz aus dem Häuschen: Die Weißen werden uns endlich eine Brücke über den Fluß bauen! Lange Gesichter, als einer aus dem Sun-International-Team erklärt, daß der Brückenschlag nur sportlich-spaßiger Natur und der Spuk in zwei Tagen vorüber sei.
Ja, wozu das Ganze? Der Erfinder und Leiter des Raid Gauloises, der Journalist und Einhand-Weltumsegler Gerard Fusil, schipperte gerade am Kap Horn vorbei, blickte auf Patagonien und sagte sich: „Das da drüben müßte man mal zu Fuß, mit dem Kanu, den Schneeschuhen oder Skiern erkunden. Wäre etwas für Leute wie die ersten Gallier, die ersten Menschen, eine kleine Sippe, allein ist das unmöglich.“ Zurück in Paris gab er eine Pressekonferenz und präsentierte seine Idee samt Philosophie: raus aus der Zivilisation. Apropos Zigaretten: Der Name der Trophy riecht zwar nach Rauch. Doch „Gaulois“ heißt erst einmal schlicht „gallisch“. Der ähnlich klingende Zigarettenhersteller habe diesen Sport nie gesponsert. Das gallische Rennen sei im übrigen den gesunden Naturburschen Asterix und Obelix inniger verbunden als den motorisierten Kameraden von der Camel- Trophy oder den Geschwindigkeitsfetischisten von Paris–Dakar. Das Überlebensabenteuer gilt es mit Teamgeist und Muskelkraft zu bestehen. Doch keine Rechnung ohne den Wirt, die Team-Sponsoren wollen effiziente PR-Arbeit. Viel technischer und elektronischer Klimbim galt daher der Vermarktung des Produkts. Aus dem Busch wurden über Satelliten regelmäßige TV-Beiträge von sechs Kamerateams nach Paris übertragen, teilweise sogar in Live-Sendungen eingespielt. Auch der amerikanische Sender ABC hatte seine Kameraleute vor Ort.
Doch den Sponsoren geht es nicht nur um die Top tens. Ein Sportschuh-Promoter auf der Siegesfeier: „Wir sind nicht daran interessiert, nur Spitzensportler auf den Raid zu schicken. Das schreckt die Käufer ab. Gerade die Anfänger wollen wir, das schafft Kundennähe.“ Auch die Tourismusbranche Südafrikas erhofft sich von den Ereignis eher Investoren und Konsumenten der E-Klasse als Biwak- Bewohner und Gipfelstürmer.
Extremsport in der Natur, für die Gallier schon längst ein Event von nationalem Rang, hat bei uns naturfreundlichen Teutonen noch keine Konjunktur. Warum, das wissen unsere Sportjournalisten auch nicht so genau: „Wir bräuchten da einen Becker-Effekt.“ „Da ist kein Ball im Spiel.“ „Es fehlt der Feindkontakt.“
Auch der nächste Raid – im September 1998 – wird von den Sportlern Extremes abverlangen: Hochalpine Härtetests in der Hitze Ecuadors. Zu den Disziplinen gehören Trekking, Klettern und Orientierungslauf.
Anmeldung: Carin Beck, Talstraße 26, 64625 Bensheim
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