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Der Luxus der Horizontale

Für Repräsentationszwecke nicht geeignet: das Schlafzimmer. Ein Blick durchs Schlüsselloch und ein paar Anmerkungen zur Kulturgeschichte des Bettes  ■ Von Kirsten Niemann

Etwa ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch im Bett. Ein 70jähriger kommt auf mindestens 200.000 Stunden. Auch wenn umgangssprachliche Bezeichnungen wie Kiste, Koje oder Falle nicht immer Behagliches vermuten lassen, sind wir – von Krisenzeiten im Krankheitsfall abgesehen – doch ausgesprochen gerne im Bett. Ob man, wie etwa Marcel Proust, dort Bücher schreibt, schläft oder träumt, sich liebt, kuschelt, fernsieht oder Matratzensport betreibt: die meisten Dinge sind vergnüglich. Und ist ein ganzer Tag zwischen den Federn nicht immer noch ein Luxus, den selbst der Ärmste sich leisten kann?

Demnach müßte das Bett das wichtigste Möbelstück und das Schlafzimmer der liebste Ort auf der Welt sein. Doch während Wohnzimmer und Flur als Empfangsräume repräsentativ herausgeputzt werden, verkommt das persönlichste aller Zimmer auf dem untersten Rang – gleich nach der Abstellkammer. Die Tür bleibt meistens verschlossen, und selbst befreundete Besucher werfen kaum mehr als einen flüchtigen Blick hinein. Meist herrscht hier ohnehin Chaos; die Einrichtung des Schlafraums stellt höchstens funktionale Ansprüche.

Doch das war nicht immer so. Erst im 19. Jahrhundert bildete sich die Einrichtung eines Schlafzimmers als vom Wohnraum abgetrennter Bereich heraus. Von der Antike bis heute hatten die Menschen recht unterschiedliche Beziehungen zu ihrer Schlafstätte.

Die Entwicklung des Bettes vom einfachen Strohlager bis zur erhöhten Liege mit einem Metall- oder Holzgestell geht auf das Jahr 2000 vor Christus zurück. Die ersten Schlafmöbel wurden in Ägypten und dem Vorderen Orient gefunden: Es war ein rechteckiger Holzrahmen mit hohem Kopfteil. Anstelle eines Lattenrosts, wie wir ihn kennen, wurde das Gestell mit gitterartig gespannten Lederriemen ausgefüllt. Doch schon die antiken Tischsitten kannten die Annehmlichkeiten der Horizontale: In entspannter Haltung wurde gemeinschaftlich gegessen, getrunken und Gelage gefeiert.

Seit dem frühen Mittelalter schliefen mehrere Personen in einem Bett. Dieser Brauch sollte sich über Jahrhunderte bewähren. Das Einpersonenbett war wohlhabenden Leuten, Fürsten und Königen vorbehalten.

Ab dem 12. Jahrhundert gab es das kastenartige Bett mit Baldachin und geschlossener Rückwand, das bis in die Gotik des 14. Jahrhunderts bei allen Bevölkerungsschichten beliebt war. Das Bett wurde zu einem abgeschlossenen Raum im Raum. Man dachte dabei jedoch weniger an die Privatsphäre der Schläfer als an Schutz vor der Kälte.

Während sich an den Schlafgepflogenheiten der ärmeren und der Landbevölkerung nichts änderte, wurde das Bett im Verlauf der Renaissance bei den reicheren Bürgern zum aufwendig gestalteten Prunkmöbel: Es erhielt Pfosten und Überdachungen mit reichlich plastisch gearbeitetem Schnitzwerk. Das prächtige Bett des Königs rückte seit dem Mittelalter immer stärker in den Blickpunkt des höfischen Lebens.

Seinen Höhepunkt als Repräsentationsmöbel erreichte es unter dem Sonnenkönig Ludwig dem XIV. (1643–1715) in Versailles: An seinem prächtigen Bett mit goldverzierten Brokatvorhängen, der Balustrade und schweren Schnitzereien pflegte er nicht nur Besucher zu empfangen. Von hier aus machte der absolutistische Monarch Politik. Eine Sitte, die Ludwig II. von Bayern, der dem Franzosen gerne nacheiferte, später glatt übernahm.

Im 18. Jahrhundert verschwand das Bett wieder aus dem öffentlichen Leben. Es wurde zur bloßen Schlafstelle, und nach einer Reihe modischer Verwirrungen und der Erfindung der Sprungfeder kehrte man schließlich zur einfachen Bettform der Antike zurück: Das Bett des Empire war ein schweres Kastenmöbel, wobei auf den Himmel größtenteils verzichtet wurde.

Das bäuerliche Bett hat seine Form vom Mittelalter an bis zum 19. Jahrhundert bewahrt. Es blieb hoch und kurz, war mitunter jedoch als Baldachinbett mit Vorhängen verziert.

Ebenfalls geblieben ist – insbesondere auf dem Land – eine Verbindung von Schlafen und dem Bevorraten von Nahrungsmitteln. Im Bett sind die Vorräte sicher vor den Dienstboten, außerdem halten sich Brot, geräuchertes Fleisch oder Obst in kalten Räumen besonders gut. Andererseits kann man bis heute beobachten, wie Hausfrauen die wärmeisolierende Wirkung der Federbetten für das Warmhalten von Speisen nutzen.

Die parallele Anordnung der Ehebetten, aus der im 20. Jahrhundert schließlich das Doppelbett wurde, kam in Deutschland erstmals im 19. Jahrhundert auf. Vorher standen die beiden Einzelbetten übereck. Überhaupt gilt die Erfindung des Doppelbetts als die wichtigste Innovation für das moderne Schlafzimmer. Während vorher die Größe der Betten je nach individuellem Bedürfnis zwischen 1,69 und 2 Metern variieren konnte, wurde in den 50er Jahren die Länge des Bettes auf 2 Meter festgelegt und das Normschlafzimmer erfunden, ein Muster, das sich quer durch alle sozialen Schichten finden ließ: Das Doppelbett stand dabei immer im Zentrum des Raumes, rechts und links flankiert von zwei Nachtkästchen. An der gegenüberliegenden Wand ein Kleiderschrank in korrespondierendem Design und dazu passend die Frisierkommode. Die hygienische Tagesdecke rundet das Bild ab. Ein Schlafzimmerkonzept nach funktionalen Gesichtspunkten, wie es an Langweiligkeit kaum noch zu überbieten ist. Ein Wunder eigentlich, daß es zu den geburtenstarken Jahrgängen überhaupt kommen konnte.

Mit der sexuellen Befreiung kam schließlich die Erfindung des Wasserbetts, das Zeitalter von Aids in den Achtzigern brachte die Futon-Mode und das Pappbett. Der letzte Schrei führt uns „Back to the Roots“, zu besichtigen auf dem Winterfeldtmarkt: das Bett für den Allergiker mit einer Getreidefüllung in der Matratze.

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