: Bei Tisch darf gesprochen werden
12 Klosterbrüder wohnen und arbeiten in Moabit. Essen, Fernsehen und eine entspannende Zigarette gehören genauso zum Alltag wie die täglichen Andachten und Gebete ■ Von Christine Berger
Maggi und Senf sind das erste, was ins Auge fällt. Im Speisesaal des Dominikanerklosters steht auf jedem Tisch ein rundes Tablett mit Salz, Pfeffer und ebenjenen weltlichen Zutaten. Das schwächt die Massigkeit der riesigen Bibel in der Mitte des Saales ein wenig ab. Wenn hier Pater Alanus, Pater Funke und all die anderen Klosterbrüder bei Tisch sitzen, wird nicht nur der Heiligen Schrift gedacht, sondern auch des Geschmacksverstärkers.
Ein bißchen Ehrfucht liegt dennoch in der Luft, als die Besichtigungsgruppe an den dunklen Holztischen des einzigen Berliner Dominikanerklosters für Männer probesitzt. Pater Alanus, der die Führung durch das Haus in der Oldenburger Straße in Moabit übernommen hat, gibt sich Mühe, auch auf alle Fragen nach dem Alltag im Kloster geduldig zu antworten. Doch manchmal wird es ihm sichtlich zu viel. Dann liegt nicht nur die weiße Mönchskutte in Falten, sondern auch seine Stirn. Ja, sagt er, bei Tisch darf gesprochen werden; nein, gekocht wird nicht mehr wie früher von Laienbrüdern. „Sie zu finden ist heute sehr schwer“, erklärt er. Was Laienbrüder sind, fragt einer, und Pater Alanus klärt auf. Früher seien das die Mitglieder des Klosters gewesen, die keine akademische, sondern eine handwerkliche Ausbildung hatten und die sich im Kloster nützlich machten. Aha. Jetzt sorgt eine Köchin für das leibliche Wohl der Klosterbrüder, und daß es ihm schmeckt, ist Pater Alanus ein bißchen anzusehen.
Ein angenehmer Ort hinter den massiven Backsteinmauern ist der Aufenthaltsraum. Hier steht der Fernseher, und auch die große Auswahl an Zeitungen im Regal ist nicht zu übersehen. Schließlich müsse man sich auch im Orden über die Ereignisse in der Welt informieren, so Pater Alanus. Die Frage, ob hier auch mal ein Western oder eine Quizshow über den Bildschirm läuft, bleibt ein bißchen im Halse stecken. Zu primitiv für den akademischen Geist des Hauses. Die Kinder in der Gruppe nehmen die Situation hingegen weniger ernst und reißen beim Versuch, sich an den langen Tisch zu setzen, fast die Tischdecke runter. Eine Mutter ist ständig dabei, ihr Kind von der Kutte des Paters wegzuziehen. Einmal daran zu zupfen muß für Steppkes eine riesige Verlockung sein.
Im sogenannten Refugium wird nach dem Essen nicht nur ferngesehen oder relaxt, sondern auch Wichtiges besprochen. Hier trommelt der Hausoberste die Gemeinschaft zusammen, um Besuche von anderen Dominikanerklöstern anzukünden oder Organisatorisches zu klären. Der Schrank mit dem schwarzgebundenen Bibelwerk an einer Wand zeugt davon, welche Themen wohl sonst noch zur Debatte stehen. Viele weltliche werden es nicht sein.
Überall in den Gängen des Klosters, das vor rund 130 Jahren erbaut wurde, erinnern die Bildnisse des heiligen Dominikus daran, in wessen Herrn Haus man ist. Dominikus Guzman, so hatte Pater Alanus zu Beginn der Führung erklärt, war im 12. Jahrhundert der Begründer des Predigerordens. Neben dem gründlichen Studium forderte Dominikus von seinen Anhängern Armut und die Bereitschaft zum häufigen Ortswechsel. Noch heute sind diese Bedingungen aktuell, weshalb unter den zwölf Brüdern des Klostern niemand ist, der nicht studiert hätte. Die Bibliothek unter dem Dach ist deshalb ein beliebter Ort unter den Patern. Hier geht jeder seinen Studien nach. Viele Bücher sind auf Latein geschrieben, die alten Bibelausgaben im Wandschrank dienen zum Teil schon mehrere hundert Jahre der Bildung. Bis zur Decke türmt sich geistliche und weltliche Literatur, etliches stapelt sich gerade auch auf dem Fußboden. „Hier wird gerade umgebaut“, erklärt Pater Alanus. Ein Bibliothekar „von draußen“ bringe Ordnung in die Bestände. Ein Computer in der Ecke zeugt vom Willen, die Moderne nicht vor der Tür zu lassen.
Den Kindern wird allmählich langweilig. Ein sechsjähriges Mädchen fängt an, strophenweise Tic Tac Toe zu zitieren, was ein gemeinschaftliches Zischeln hervorruft. Im Kloster hat jeder das Gefühl, nicht mehr als ein Flüstern von sich geben zu dürfen; die Stille in den Fluren hat etwas Heiliges. Erst als Pater Alanus fortfährt, vom morgendlichen Aufstehen im Kloster zu erzählen, sind auch die Kinder wieder still. Um halb acht läute die Glocke zur ersten Andacht, danach gebe es Frühstück. Also nichts mit Liturgie um fünf Uhr morgens, wie immer in den Fersehfilmen dargestellt. „Ab neun geht dann jeder seinen Aufgaben nach.“ Das ist unter anderem Seelsorge in den Gemeinden St. Paulus und St. Ansgar, Bildungsarbeit, Krankenhaus- und Studentenseelsorge. „Und jetzt können sie noch den Klostergarten besichtigen“, sagt der Mann aus Belgien, bevor man ihn nach seinem eigenen Job im Kloster befragen kann.
Auf dem Weg hinab in die idyllische Blumenlandschaft im Hof ist Pater Alanus schließlich spurlos verschwunden. So viele Fragen hätte man noch gehabt: ob die riesige Kirche, die ans Kloster grenzt, denn schon mal voll gewesen sei und ob die Herren auch mal Urlaub hätten. Aber nichts zu machen. Der Pater ist weg, ab auf sein Zimmer, das er mit niemandem teilen muß. Vielleicht ist ihm das viele Gequatsche einfach zuviel geworden.
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