■ Nachschlag: Katja Ebstein: Mit Heine-Liedern durch den Herbst ihrer Karriere
Sie macht uns nichts vor, selbst heimlich öffnet sie für ihr aktuelles Repertoire keine Konserve: Katja Ebstein gibt nach dem zweiten Lied zu, daß ihr der Hals immer mehr zuschnüre. „Der Herbst“, sagt sie, und alle fühlen im Klubraum des Friedrichstadtpalastes mit der Erkälteten mit. Also spricht sie mehr, als daß sie singt: Songs, deren Texte von Heinrich Heine stammen, Titel des Abends: „Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht“. Das Sprechen steht den Liedern gar nicht schlecht an. Das Stück von den Webern und dem dreifachen Fluch klingt deklamiert besser als aus reiner Kehle, wie man es auf der CD nachhören kann. Spröder, gehetzter, wirklicher – unge-Die Ebstein Foto: promo
wollt sozusagen.
Trotzdem mag nicht recht einleuchten, was die Künstlerin nun bewogen hat, mit einem alten Programm auf Tournee zu gehen. Offensichtlich war, daß das Publikum ihretwegen kam – nicht der Texte Heines wegen. Zutreffend sagte Ebstein: „Wir kennen uns ja mittlerweile.“ Vielleicht hat es ja einen Grund, daß sonst niemand aus der Kabarettszene sich mit Heine beschäftigt – womöglich den, daß Heines Beiträge zur politischen Weltlage inzwischen überholt sind. „Denk ich an Deutschland in der Nacht“, zitierte sie natürlich – als ob einen beim Gedanken an deutsche Zustände immer noch Alpträume befallen müßten. Aber selbst wer einer solchen Sicht der Dinge zuneigt, wird möglicherweise zugeben, daß Katja Ebsteins Interpretationen nicht gerade als Fanal taugen: Vielmehr hat eine der begabtesten und besten deutschen Popsängerinnen sich auf das Diseusenfach verlegt, weil ihr den „Stern von Mykonos“ womöglich keiner mehr glaubt.
Gott sei Dank hat ihr früherer Lebensgefährte Christian Bruhn schon Anfang der siebziger Jahre das Gros der Heine-Couplets vertont. Und zwar zu einer Zeit, als Schlagersängerinnen wie Katja Ebstein sich (unnötigerweise) für ihr Tun schämten und sich künstlerische Nischen mit sogenanntem Anspruch einrichteten – in diesem Falle mit Bekenntnissen zum demokratischen Nationaldichter der Deutschen, Heinrich Heine.
So verzichtet die Mittfünfzigerin, die einst mit „Und wenn ein neuer Tag erwacht“, „Diese Welt“ oder „Ein Indiojunge aus Peru“ das Genre des sozialdemokratischen Erweckungsschlagers kreierte, auf ihre besten Lieder und unterhält uns mit Heine. Das war am Ende, zuschauend bei einer, die im Herbst ihrer Karriere auch nur über die Runden kommen will, sogar ganz nett. Jan Feddersen
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