Berlusconi entdeckt die Italiener

Obwohl der Präsident mehr als 60 Millionen Mark in neue Profis investierte, steht der AC Milan auf einem Abstiegsplatz. Nun heißt die Parole: Ausländer raus!  ■ Aus Mailand Werner Raith

Vor drei Jahren noch hatte Gianni Agnelli den Konkurrenten aus Mailand bewundert: „Berlusconi hat eine unübertreffliche Hand bei der Akquise von Spielern“, lobte der Eigentümer von Juventus Turin, „das macht ihm keiner nach.“ Daß Berlusconi beim Kauf von Spielern nicht knausrig ist, weiß man seit jeher, schließlich hatte er schon 1990 beim Kauf von Lentini umgerechnet an die 80 Millionen Mark ausgegeben (und sich ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung an den Hals geholt).

Und so hatte der Ex-Ministerpräsident bei der Anwerbeaktion 1997/98 trotz eines Vorjahresverlusts von 44 Millionen Mark den Geldbeutel auch wieder weit aufgemacht: noch einmal mehr als 60 Millionen Mark hat er für Neuzugänge ausgegeben, nahezu allesamt Ausländer. 14 Nichtitaliener kicken seither für den Mailänder Traditionsverein.

Doch die Ergebnisse sind nicht nur mager – sie sind schlichtweg verheerend. Gerade mal fünf Punkte hat Milan nach sechs Spielen eingeheimst, das reicht nur für einen Abstiegsplatz. Nachdem man zuletzt auch noch das vermeintlich leichte Spiel gegen Schlußlicht Lecce 1:2 verloren hat, drückt Agnelli dem Kollegen Berlusconi nur noch „Mitgefühl“ aus, Marke: kann ja jedem mal passieren (mir selbst natürlich nicht).

Für den „Cavaliere“, wie Berlusconi sich gerne nennen läßt, steht allerdings mehr auf dem Spiel als bei anderen Vereinseignern. Sein Milliardenimperium hat er finanziell einigermaßen saniert, politisch steht er wieder einigermaßen gerade, es gibt sogar eine gewisse Aussicht auf Amnestie in verschiedenen Korruptionsverfahren – in dieser Situation kommt ihm Pech im Fußball gar nicht gelegen.

In Italien zählt ein erfolgreicher Sportler wie auch dessen Sponsor mehr als jeder Politiker. Tatsächlich hatte Berlusconi seine Partei Forza Italia über die riesigen Fanklubs von Milan aufgebaut und so 1994 die Wahlen gewonnen. Mittlerweile sitzen in den Tifosi-Lokalen nur noch ein paar Eingeschworene herum, der Lack ist ab.

In einer solchen Situation haben Berlusconis Imageberater nun ein vermeintliches Rettungsrezept gefunden: Wenn Milan mit mehr als einem Dutzend Ausländer ständig verliert, dann kann das nur an denen liegen. „Es darf doch nicht angehen“, sagt Berlusconi daher inzwischen landauf, landab, „daß in manchen Mannschaften zwei Drittel der Spieler überhaupt nicht Italienisch sprechen.“ Er will nunmehr nur noch Landeskinder in seinen Verein holen.

Gleichzeitig läßt er durchblicken, daß an dem Desaster nicht er schuld sei, sondern, natürlich, der zu Saisonbeginn zurückgekehrte Trainer Fabio Capello, der immer die falschen Leute wolle, und die für Einkäufe zuständigen Vizepräsidenten des Vereins, die ihm zugestimmt hatten.

Doch der Versuch, sich an die Spitze der Kritiker seines eigenen Vereins zu setzen, ist gründlich mißlungen. Plötzlich nämlich tat einer den Mund auf, der bisher als besonders treuer Gefolgsmann Berlusconis galt, der stellvertretende Vereinschef Adriano Galliano. Der beschied die Öffentlichkeit klipp und klar: „Die Fehler haben wir alle begangen, kollektiv, niemand ausgeschlossen.“ Und schließlich, so Galliani, habe Milan die Zeiten größten Triumphes vor allem Ausländern zu verdanken gehabt, insbesondere dem Trio Rijkard, van Basten und Gullit.

Daß bei Milan derzeit viel aneinander vorbeigeredet wird, ist Tatsache. Die meist schwarzen neuen Milan-Kicker sprechen kein Italienisch – tatsächlich macht sich auch niemand die Mühe, es ihnen beizubringen. „Die verständigen sich zwar untereinander“, beobachtete der Corriere della Sera, „aber keiner weiß, in welchem Stammesdialekt.“ Auch der Ex- Münchner Christian Ziege gilt als isoliert hinter der Sprachbarriere.

Daß es an den Zugewanderten allein nicht liegen kann, belegt der Lokalkonkurrent Internazionale Mailand: Die Mannschaft steht ungeschlagen an der Spitze der Tabelle – und dort kicken nicht weniger als elf Ausländer.

Aber Berlusconi hat noch ein anderes Problem: Wo immer seine Vereinsmanager bei heimischen Spielern anklopfen – sie ernten allenfalls höfliches Zuhören. „Könnte so weit kommen, daß wir uns unsere Italiener aus der Serie B holen müssen“, brummelt einer der Einkäufer. Vielleicht wäre das so unpassend nicht: Nach Kalkulationen von Corriere della Sera und auch La Repubblica hat Milan sowieso beste Chancen, demnächst in der zweiten Liga zu spielen.