piwik no script img

...aber was heißt schon wirklich

■ Irgendwas mit Welt und Wesen: „Kamikaze“, das schräge Low-Budget-Filmfest in der Buchtstraße, hebt heute erstmals ab. So.

Die Welt ist voller sonderbarer Wesen. Zum Beispiel taz-Mitarbeiter. Die Johlen der Stadt aus luftiger Freimarkt-Gondel „Hulahagula“entgegen, bohren während Punk-Konzerten prinzipell nur im linken Nasenloch und machen jetzt auch noch ein Filmfest. Frage aller Fragen: Warum? Aus dem kindlichen Trieb, glücklicher Besitzer eines eigenen Filmfestes zu sein, so bekennen Andreas Neuenkirchen und Stefan Ernsting mit beichtstuhlhafter Aufrichtigkeit. Was aber gibt's zu sehen unter dem höchst verdächtigen Firmennamen „Kamikaze“? Natürlich ihresgleichen, also ganz arg viele sonderbare Wesen auf einem Haufen. Und die treten – laut statistischer Erhebung – gehäuft in Independent-Produktionen auf. Damit es auch richtig drastisch independent wird und sich nicht Allzuvieles mit Oberhausen-Festivalweihen einschleicht, haben die beiden Freaks das einschlägig vorbestrafte Film-Fachblatt „Splattering Image“nach Kontakt-Anzeigen durchgesichtet – mit wunderbaren Ergebnissen. Bei einer ersten Sichtung des eingeschickten Videofilmmaterials konnte der Zuschauer absolut neuartige physiologische Phänomene an sich entdecken: ein Brechreiz, Klaus sein Name, der auf seinem Weg vom Magen in den Hals doch noch zur Einsicht kommt, und sich als Lachen aus dem Staub macht; oder ein Hohnlachen, Eva sein Name, das zu bud-dhistischer Gelassenheit sich verfeinerte, richtig tuntig-transvestitenhaft.

Die meisten Filme stammen von Studenten von Kunst- und Filmhochschulen. Und denen scheint eine pingelige, geschmäcklerische Professorenschaft so rechte Freude am trotzigen bad-taste einzutreiben – natürlich unfreiwillig. Orgien der Verarschung werden gefeiert. Mit den technischen Möglichkeiten der Handkamera läßt sich Hollywood natürlich nicht überbieten – aber es läßt sich aufs Trefflichste verspotten. Schauspieler mit dem Charisma von Brötchenbäckern, Menschen also wie Du und ich, lassen Blut, Sperma, vor allem aber seltsame, vertrackte Einfälle spritzen. Die Albernheit ist natürlich nur Fassade, dahinter stecken hochintelligente Ideen, eine Kritik der heutigen Medienlandschaft, Familienstrukturen... jaja. Sonst verhält es sich mit der Albernheit und der Intelligenz ja meist anders herum.

Natürlich will „Kamikaze“das ganze reiche Treiben an der cineastischen Front zeigen. Also gibt es auch ein paar Exempel von gutem, alten Dokumentaristen-Geist. Ein 20-Minuten-Epos über die Aufzucht von drei Ferkeln ist ein einziges, schlammiges Lob- und Preislied auf die unscheinbare Normalität inklusive Sonnenbrand auf rosa Ferkelhaut.

Allein die unorthodoxen Schauspielergesichter und -gestelle auf den meist aus Deutschland stammenden Kurz- und Langfilmen sind unbedingt sehenswert. Da gibt es die krasse, aber hochprofessionell agierende Physiognomie eines Philipp Schiemann; daneben aber auch – zum Schreien komisch – fette, orangenhäutige Stampfer in scharfem Mini, filmisch eingesetzt als handele es sich um Schiffers Gazellenbeine. Bei manchen Produktionen wurden scheinbar alle entfernten und nahen Gestalten des Bekanntenkreises zusammengekratzt und – einzigartig notgedrungen und querständig – die Rollen von Prostituierten, Henker und Sekretärinnen, alles, was eben anfiel, damit besetzt.

Mindestens ein Film des Festivals ist übrigens wirklich schlecht – aber was heißt schon wirklich. Das Vorbeischrammen an allem sinnigen Timing ist zwar weder freiwillig noch gekonnt, aber doch unterhaltsam. In der Edgar Wallace-Verfilmung "Schlüssel zum Tod“ist ein Karateschlag sediert zum Schattenboxen, das Aufwachen aus einer Ohnmacht abrupt wie ein Rülpser, jedes Lachen zu früh oder zu spät. In diesem Film können die Akteure nicht mal eine Treppe glaubwürdig heruntergehen. – Und schon fängt man an nachzudenken über die Wirkung des anderen Blicks (hier: der Kamera) auf das Selbstgefühl im allgemeinen und das Treppensteigen im besonderen; richtig sartremäßig. Und da erweist es sich wieder: Der Trash-Fan ist in Wahrheit ein Weiser. Es kann gar nicht wild genug kommen: mit allem kann er sinnvoll umgehen. Amor fati. Theodizee. bk

25.-31. Oktober Buchtstr. 14/15, Beginn jeweils 21 Uhr; am letzten Tag mit Halloween-Abschlußfete mit Live-Musik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen