: Die milde Seite von Richter Gnadenlos
Berufungsverhandlung gegen „die Autokratzerin“, deren Verurteilung dem Hamburger Richter Ronald Schill zu zweifelhaftem Ruhm verhalf ■ Von Elke Spanner
Zweieinhalb Jahre Gefängnis ist ein Strafmaß, das Amtsrichter Ronald Schill gefällt. Gerade schon so hoch, daß es nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, und gerade noch so hoch, daß er als Einzelrichter es verhängen darf. Das tut er dann auch fleißig, denn Schill fühlt sich nicht allein zum Urteilen, sondern auch zu Höherem berufen: Er will die Hamburger Justiz auf den rechten Pfad zurückführen, und der ist für ihn dort, wo die Strafe eine abschreckende Wirkung hat.
So verurteilte er beispielsweise im August einen Inder, der die Ausländerbehörde belogen hatte, ebenso zu zweieinhalb Jahren Knast wie im Dezember vorigen Jahres eine Frau, die mehrere Autos angekratzt hatte. Dieser Fall, der Schill das Etikett „Richter Gnadenlos“einbrachte, wird ab dem morgigen Freitag vor dem Landgericht neu verhandelt. Nicht nur die verurteilte Frau, auch die Staatsanwaltschaft war in die Berufung gegangen.
So unterschiedlich die genannten Fälle auch sind, sie haben eine Gemeinsamkeit: Die Angeklagten tragen einen Nachnamen, der mit den Anfangsbuchstaben „Bene“bis „Cali“beginnt – und landeten deswegen vor Jungrichter Ronald Schill. Müßten sie nicht zwangsläufig im Gerichtssaal aufeinandertreffen, niemals würde der 38jährige sich zu einem Plausch mit dem gemeinen Volk herablassen. Gerne trägt er seinen Richterstatus zur Schau und läuft auch auf den Gerichtsfluren stets in Robe herum, die rechte Hand so leger in der Tasche der weiten Bundfaltenhose, als würde der sonnengebräunte Single im Cashmeremantel auf dem Jungfernstieg flanieren und nicht profan auf dem Weg zur Toilette sein.
Gegen eine Justiz, die ein „Herz für Verbrecher“hat, kämpft Schill nicht nur mit Urteilen, sondern auch mit Worten. Von den Medien bereitwillig hofiert, tingelt er durch Talkshows, polemisiert gegen Schwarzafrikaner und schließt die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht grundsätzlich aus. Für seine rechtspolitischen Träume schafft er im Gerichtssaal praktische Beispiele. Eine jede Verurteilung wird mit „Generalprävention“begründet: Mal will er ein Signal gegen die Mißachtung fremden Eigentums setzen, ein anderes Mal gegen Asyl- und Sozialmißbrauch.
Anfang Oktober erinnerte das Landgericht in einer Berufungsverhandlung allerdings daran, daß der Ghanaer, der als abschreckendes Beispiel eines Sozialmißbrauchers herhalten sollte, niemals Sozialhilfe beantragt hatte. Darüber hatte Schill locker hinweggesehen.
Als kompromißloser Kämpfer für das Recht, als Märtyrer, der für seine Ideale persönliche Anfeindungen in Kauf nimmt, weiß Schill gar die Tradition seiner Familie hinter sich. Gerne verweist er auf seinen Großvater, einen Widerstandskämpfer, der als Mitglied einer antifaschistischen Gruppe im Februar 1944 im KZ Neuengamme hingerichtet wurde.
Doch vielleicht wäre Schill kein Amtsrichter mehr, könnte er den Angeklagten manchmal nicht auch zugewandt sein – ein Eindruck, den er stets erweckt, denn er hält den Kopf schräg nach vorne geneigt, was hochkonzentriert wirkt, aber eher an seiner Größe liegen dürfte.
Manchmal aber zeigt sich Ronald Schill auch von seiner milden Seite. Zum Beispiel, als er Anfang Februar einen Polizisten freisprach, der eine maßgebliche Rolle im Hamburger Polizeiskandal gespielt hatte.
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