■ Schwarzwald: Rechte Skinheads überfallen ein Jugendzentrum: Ein gesamtdeutscher Skandal
An der Meldung irritiert den täglichen Zeitungskonsumenten heutzutage nur noch der Ortsname, nicht der Inhalt: 15 Skinheads, die im Stil eines Sturmkommandos auftauchen, drauflos prügeln und – je nach Alkoholspiegel – mehr oder weniger geschlossen wieder abrücken. Es trifft Immigranten und Flüchtlinge, Besucher von Campingplätzen oder Punkkonzerten, von Schülerfeten oder Jugendzentren. In Städten und Dörfern der neuen Bundesländer passiert das so oft, daß der Neuigkeitswert solcher Vorfälle auf Kurzmeldungsgröße geschrumpft ist. Bloß dieses Mal geschah der Überfall halt nicht im finsteren Osten, sondern im Schwarzwald. Dem wäre hinzuzufügen, daß erstens rechtsextremistische Gewalt noch nie ein Monopol des Ostens gewesen ist und zweitens inzwischen auch westdeutsche Kleinstädte mit der alltäglichen öffentlichen Präsenz von Rechtsradikalen konfrontiert sind.
Da wächst zusammen, was zusammen gehört, spricht der Zyniker. Vielleicht, sagt der Pragmatiker und meint etwas ganz anderes. Vielleicht begreift man nun wieder, was unter dem Eindruck der Pogrombilder von Rostock und Hoyerswerda und der Brandruinen von Mölln und Solingen bereits Konsens zu sein schien: daß das Problem des Rechtsextremismus ein gesamtdeutsches ist – egal, in welchem Teil des Landes welche Formen und Ausmaße rechtsradikaler Alltagskultur und Alltagsgewalt anzutreffen sind.
Statt dessen aber hatte sich in den letzten fünf Jahren eine gruselige Arbeitsteilung entwickelt. Die politische, von Wessis dominierte Elite des Landes hat eine „Nationalisierung“ der öffentlichen Debatte vom Asylrecht bis zum Arbeitsmarkt forciert, während jugendliche Schläger im Osten immer wieder für die gewalttätigen Schlagzeilen sorgten, von denen sich erstere mit wohldosierter Empörung immer wieder distanzieren konnten.
Heute sind wir an dem Punkt angelangt, wo die Existenz „national befreiter Zonen“ ein unbestrittener Fakt ist. Sie sind ein ostdeutsches Phänomen, aber ein gesamtdeutscher Skandal. Die Frage, warum eine – meine – Gesellschaft es zuläßt, daß Menschen mit „undeutscher“ Hautfarbe, „undeutscher“ Haartracht oder „undeutschen“ Ansichten mit Gewalt aus öffentlichen Räumen vertrieben werden, geht mich in Bayern genauso etwas an wie in Brandenburg. Vor fünf Jahren, nach Rostock und Solingen, Hoyerswerda und Mölln, entstand die Hoffnung auf eine Bürgerrechtsbewegung. Die ist heute notwendiger denn je. Andrea Böhm
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