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Kritik der Zielfixiertheit

■ Liebermann, Ruzicka und Haydn im Philharmonischen Konzert

„Ich verstehe meine Musik nicht“, begründete Rolf Liebermann am Sonntag morgen die Namensgebung der Komposition, die in der Musikhalle anläßlich seines 85. Geburtstags ihre Uraufführung erlebte: Enigma, das Rätsel. Dabei „spricht“ Liebermanns Musik, ja erzählt regelrecht Geschichten, liefert präzise Untermalungen für Assoziationen, wie es ein Komponist, der ein unverkrampftes Verhältnis zur U- und Filmmusik hat, eigentlich auch erwarten läßt.

So erzeugt Liebermann hier gleich zu Beginn eine spannungsgeladene, gemäßigt dissonante Atmoshäre der Erwartung der Ankunft von etwas Bedrohlichem, die er aber über das ganze Stück nie wirklich zu Erlösung führt. Als habe er Spaß daran, den Plot auszulassen, um den Genuß der Erregung immer weiter zu straffen, führt er die Dramatik im Wechsel von dissonanten, rhythmischen und harmonischen Momenten langsam ansteigend immer höher, bis man plötzlich voller Erstaunen bemerkt, daß die gezähmte Aufregung schon wieder im Abklingen ist.

Weniger das Rätsel und seine Lösung werden hier entfaltet, als die Verrätselung der Erlösung. Der zielorientierte Wunsch nach seelischer Entspannung erfährt vielmehr eine Kritik durch die musikalische Beschreibung einer langen Welle voller Erleben und bescheidener Erfahrungsvermittlung.

Daß dies bei einem nach Abwechslung heischenden Publikum zu keiner Frustration führt, liegt an der vielschichtigen, oft humoresken Art und Weise, mit der der zweimalige Intendant der Hamburg Oper lyrische und dramatische Momente kontrastiert und mit Sprengseln kurzer, verrückter Melodieläufe punktiert. Die meditative Grundlage, der weite Wurf seiner Klangentwicklung, erfährt den schillernden Aufbau kleiner Motive und kurzer, heftiger Bewegungen, so daß expressive, charmante, quere und freundliche Einzelstücke eine homogene Vielfalt bilden. Ruhe und Altersweisheit gehen hier mit ungebrochen neugierigem Kunstwollen eine überaus spannende Allianz ein.

Die anschließende Adaption eines Zwischenspiels aus Haydns Oratorium Die sieben letzten Worte des Erlösers, das nach der Pause mit einer lieblich singenden Gabriele Rossmanith auch noch gebracht wurde, durch den heutigen Intendanten der Staatsoper, Peter Ruzicka, blieb dagegen eher eine Aufführung für Musikwissenschaftler. Denn das verstrickte Gewebe von Original und Neukomposition, von kompositorischen Bezügen und theoretischen Winkelzügen über die Unmöglichkeit, Neues zu schaffen, blieb beim Hörerlebnis doch durchaus blaß. Die auf der Grundlage eines dissonanten Zirpens gestapelten Zitate, Veränderungen, Dialoge und Fluchten in Ruzickas Komposition fanden nie aus der gewollten Abstraktheit heraus, die Liebermanns Werk so charmant übergeht. So bleiben die Metamorphosen über ein Klangfeld von Joseph Haydn eine verkopfte, distanzierte Behauptung.

Till Briegleb

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