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Ein Atombunker wird zivil

■ Unter dem Domshof liegt ein Atombunker für 2.000 Bürger. Die taz besichtigte die unterirdischen Räume mit dem „Bunker-Hausmeister“Horst Bullmahn und sprach mit ihm über den Ernstfall, Frieden und seine Kindheit

ie Erstausstattung lagert in der Isolierkammer. Schnabeltassen, Urinflaschen, Milchpumpen, Wärmflaschen, Verbandszeug, Falthandtücher und Augenklappen liegen in beschrifteten Kisten. Auf den Betten stapeln sich Klopapierrollen, an der Betonwand Damenbinden, in der Ecke Windeln. Im vorderen Teil des Raumes stehen Kaffeekannen, Koch- und Nachttöpfe. „Das haben wir alles vor 30 Jahren gekauft“, berichtet Horst Bullmahn. Nach all den Jahren sieht das Klopapier Marke „Mambo“mitgenommen aus. Aber was bedeutet das schon in einem atomaren Ernstfall.

Atomarer Ernstfall? In den letzten Jahren wurden nicht mehr viele Gedanken daran verschwendet. Der Kalte Krieg ist vorüber, die monolithischen Blöcke Ost und West haben sich aufgelöst. Vorbei ist die Zeit der Proteste: die „Kampf dem Atomtod“-Bewegung der 50er Jahre, die Ostermärsche in den 60ern und 70ern, die Großkundgebungen gegen einen NATO-Doppelbeschluß am Beginn der 80er. Die Bundesregierung löst zum Umzug ihren Regierungsbunker in der Eifel auf und überlegt noch, ob bei Berlin ein neuer errichtet werden soll. Atombunkerbau ist nicht mehr zeitgemäß. Auch nicht in Bremen.

„Heute glaubt man ja gar nicht mehr, daß es zum Schlag kommt. Aber es kann passieren“, meint dagegen Horst Bullmahn. Gleich darauf verbessert er sich: „Könnte passieren.“Ein Konjunktiv scheint auch ihm sicherer. Wenn dieser Mann einen Atomkrieg nicht mehr für möglich hält, wer dann? Seit 27 Jahren betreut Bullmahn als technischer Angestellter alle „Schutzbauten“im Lande Bremen. Dazu gehören auch 20 voll ausgebaute Atombunker für die Bevölkerung, 19 in der Stadt Bremen, einer in Bremerhaven. 28.596 Menschen fänden theoretisch in ihnen Platz. Das wären etwa fünf Prozent der Stadtbevölkerung.

An diesem Tag ist Horst Bullmahn angezogen, als stünde der Erstschlag kurz bevor. Sein schwarzer Regenmantel aus abwaschbarem Gummi reicht ihm fast bis an die Knöchel. Oberhalb der Erde – auf dem Domshof – hasten die Menschen dick verpackt durch die eisige Kälte. Aber hier unten im Atombunker unter dem Marktplatz, geplant für 2.000 Menschen, liegt die Temperatur über Null.

Der Bauch des Domshofes

Auf den ersten Blick wirkt der Raum wie eine Tiefgarage. Der Boden geteert, die Wände aus nacktem Beton. An der Decke hängen Neonröhren und Belüftungsventilatoren, dazwischen laufen dicke Rohre. Durch schmale Zwischenrippen wird der weitläufige Ort strukturiert. Jedes Separée trägt eine Nummer: 705, 706, 707. Zur besseren Orientierung.

Wenn sich die Augen an das schummrige Licht gewöhnt haben, fallen Kleinigkeiten auf. Zum Beispiel regelmäßige Haken an der Decke und Gewindelöcher im Boden. „Da werden die Ketten eingehängt und verspannt“, erläutert Bullmahn. An vier Ecken jeweils eine, mit einem Karabiner versehen, eine Liege eingehakt und fertig ist das Bett. Vier Stück sollen sich im Ernstfall übereinander erheben. „Der oberste Schläfer braucht dann eine Leiter. Die haben wir aber auch da“, sagt Bullmahn grinsend.

1970 wurde der aus dem zweiten Weltkrieg stammende Luftschutzbunker zu einem Atombunker aufgerüstet. Für knapp zwei Millionen Mark – durch den Bund subventioniert – baute man eine neue Belüftung mit ABC-Filtern ein, wurde ein eigener Notbrunnen gebohrt, zwei mit Diesel betriebene Notstromaggregate aufgestellt, gebogene Eisentüren gegen die Druckwelle installiert und extra Räume für die bunkerinterne Infrastruktur errichtet. Die 1,40 Meter dicken Betonwände aus dem Jahre 1939 durften dagegen stehenbleiben. Sie reichen auch für einen Atomkrieg.

Bunker sind dem Hausmeister Horst Bullmahn seit der Kindheit vertraut. Der heute 58jährige verbrachte viele Stunden seiner frühen Kindheit in einem Stollenbunker in Bremen-Nord, während die Alliierten Luftangriffe über Bremen flogen. „Aber ich war neugierig. Wenn keiner geguckt hat, bin ich raus und habe geschaut, wie die Flugzeuge die Bomben abgeworfen haben“, sagt Bullmahn während des Rundgangs durch die unterirdischen Räumlichkeiten.

Aus einem Atombunker könnten sich Kinder nicht mehr davonstehlen. Vor jedem der vier Eingänge – nach den Himmelsrichtungen benannt – liegt eine Schleuse. Ein separater Vorraum, durch zwei Türen eingegrenzt. Wird die eine Tür geöffnet, verschließt sich durch eine Automatik die andere.

Nur der Bunkerwart kann sie entriegeln. Er bestimmt im Ernstfall darüber, wer den Bunker betritt oder verläßt. Falls der Mechanismus wirklich funktionieren sollte.

14 Tage überleben

„Doch, doch“, versichert Bullmahn, „seit 1987 prüft der TÜV-Essen die technischen Anlagen jedes Jahr“. Schließlich soll der Atombunker weiterhin einsatzfähig bleiben. 800.000 Mark zahlt das Bundesamt für Zivilschutz jedes Jahr für die Wartung aller Bunker an Bremen. Ob Notstromaggregat, Belüftung oder Wasserpumpen - alle Geräte werden angeschmissen, wenn der TÜV kommt. „Die stehen sich sonst kaputt.“

Aber ist es nicht ein wenig leer in dem angeblich funktionstüchtigen Atombunker unter dem Domshof? Im Krankenraum stehen zwei grüne Liegen, veraltete Operationslampen und ein Tisch für medizinisches Besteck. Kein Medikament in den Schränken, keine Schere auf dem Tischchen, keine Seife in der Dusche. In den Vorratskammern hat die Bremer Polizei ihre Verkehrsschilder gestapelt. Nur eine verlorene Kochplatte erinnert an die ursprüngliche Funktion des Raumes.

Nein, hält Bullmahn dagegen, beim heutigen Krieg gehe es nicht mehr um Minuten. „Wenn es tatsächlich zum Vorfall kommen sollte, rechnet man mit einem Jahr Vorwarnzeit.“In Ruhe könne man dann den Bunker mit Lebensmitteln auffüllen, Betten aufstellen und die Verantwortlichen für den Bunker bestimmen. „Es ist heute nicht mehr so, daß es schlagartig geht. Die Politiker sind ja vernünftiger geworden“, fügt er hinzu. Bullmahns Wort in Gottes Ohr.

So lange noch Platz ist, darf jeder in den Bunker. Gästelisten gibt es nicht. „Wenn 2.000 hier drinnen sind, dann ist Feierabend.“Während des Aufenthaltes kann nur in Acht-Stunden-Schichten geschlafen werden, denn es fehlen Betten. Vielleicht könnte man Spiele für die Kinder in den Bunker bringen, überlegt Bullmahn: „Und für die Erwachsenen Skatkarten.“Lebensmittel sollen schnell und lieblos warm gemacht werden. Wer verstrahlt ist, darf sich in einer der Schleusen dekontaminieren. Klingt effektiver, als es ist: eine einfache Dusche mit Spezialseifenbehälter. In den wenigen Toiletten würden sich die Menschen drängeln. Wenn die Kanalisation mit Fäkalien überläuft, landen die Körperausscheidungen auf dem Domshof. „Besser, als hier drinnen lagern“, sagt Bullmahn achselzuckend.

Vierzehn Tage sollen 2.000 Bunkerbewohner unter dem Domshof überleben können. Danach ist der Sand, durch den die Außenluft dringt, verstrahlt und die ABC-Filter sind gesättigt. „Wenn Sie zwei Wochen hier drinnen im eingeschlossenen Raum waren, sind Sie froh, schnell wieder draußen zu sein“, meint Bullmahn. Die Verlassenden hätten dann die Druckwelle und erste Feuerstürme überlebt. Hinaus müßten sie aber in den atomaren Winter: extreme Minusgrade und ein vom Staub verdunkelter Himmel.

Sinn oder Unsinn?

Oben auf dem Domshof werden Hinweise auf den Bunker langsam abgebaut. Die klotzigen Lüftungsschächte hinter dem Neptunbrunnen sind zu unscheinbaren Kanalisationsdeckeln geschrumpft. Über dem Haupteingang wurde 1991 eine aufwendige öffentliche Toilette errichtet. In der Nordecke steht auf der breiten Bunkereinfahrt bald ein gläsernes Café: das „Domshof-Forum“.

Sollte man den Bremer Bunker nicht lieber in ein Museum verwandeln? Neugierige Schulklassen könnten die Metallspiegel über den Waschbecken betrachten. Anders als ein normaler Glasspiegel würden diese beim Knall nicht in tausend Scherben zerbersten. Ältere Herren könnten sich über die Federn wundern, an denen die schweren Metallrohre aufgehängt sind. Die „Schocksicherung“soll Stöße abfangen. Interessierte Familien sollten den separaten Raum des Bunkerwartes besuchen. Hier schläft der Verantwortliche, kontrolliert die Schleusen, spricht über Lautsprecher zu den 2.000 und verfügt über das einzige Außentelephon. Erlebnispark Atombunker. Nein, hält Bullmahn dagegen, Schutzbauten für die Bevölkerung müssen bleiben. „Es braucht ja kein Atomkrieg zu sein.“Ein explodierender Atomreaktor würde schon genügen. Besonders gern beschreibt er aber Naturkatastrophen: Orkan oder Überschwemmung. „Denken Sie doch an das Oder-Hochwasser.“Es ist eben alles ziviler geworden. Sogar ein Atombunker. Susanne Leinemann

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