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■ Verhindern Sie den Sieg nach Punkten: Testen Sie einen DalmatinerWarnung vor dem Hunde

Meine Bekannte betrachtete mit mütterlich-stolzem Blick das schwarzgepunktete Fellsäckchen, das am anderen Ende ihrer Leine sorgenvoll herumstolperte. „Du kannst gerne mal auf ihn aufpassen“, sagte sie großzügig. „Er heißt Anton.“

Ich versuchte, nicht hinzusehen. Leute, die Hunde mögen, kocht man mit Welpen, besonders mit albern gemusterten, innerhalb von Sekunden butterweich. Disney wußte das. Antons Besitzerin auch. Sechs Monate später stand sie mit einem Anton, dessen Lebhaftigkeit es mittlerweile mit jeder Stampede aufzunehmen vermochte, vor meiner Tür. Ob ich nicht...?

Nein danke, formulierte ich im Geiste höflich, leider habe ich überhaupt keine Zeit. Der Dalamatiner stellte sich auf seine dürren Hinterbeine, zog sich mit geübten Welpenklimmzug in meine Arme und blinzelte mit seinen Knopfaugen. Sieg nach Punkten.

Zur Linderung des Trennungsschmerzes und weil es das Dalmatinerhandbuch so empfiehlt, bekam Anton zum Abschied von Frauchen eine bläulich-blutige Hüftpfanne von kolossalen Ausmaßen vorgeworfen, die er munter über den Teppich zerrte. Während das letzte Bussi auf die Hundenase Frauchen um ein Haar ihre eigene kostete, blätterte ich in der Gebrauchsanweisung. Und las erfreut, daß mein Pflegling sozusagen eigens auf die Welt gekommen war, um Kontakte zu anderen Lebewesen zu knüpfen.

Kaum hatte ich die Türe geschlossen, entriß ich dem knurrenden Dalmatiner die tote Kuh und machte ihn unverzüglich mit meinem Kater bekannt, in Erwartung der ergötzlichen Szenen, die sich laut Buch nun entwickeln mußten. Antons Pünktchen erbebten. Dann riß er seinen Arm in Vorstehmanier nach oben und erwartete zitternd den Schuß, der die Katze niederwerfen würde. Als ich keine Anstalten machte, die Beute zur Strecke zu bringen, bedachte er mich mit einem verächtlichen Blick und stürzte sich trotz schärfstens vorgebrachter Einwände selbst auf die Katze. Ein paar bange Sekunden schien es, als könnte Anton zu jenen 25 Prozent der Dalamatiner gehören, die – Tribut an die Rassereinheit – stocktaub sind. Doch er hörte: die taktische Erwähnung eines bevorstehenden Spazierganges ließ ihn seine Mordpläne vergessen.

„Lauf einfach mit ihm, bis er müde wird“, hatte meine Bekannte empfohlen. Was sie nicht erwähnt hatte, war erstens, daß Hunde niemals müde werden, und zweitens, daß man, um mit einem Dalmatiner in Ruhe spazierengehen zu können, ihn am besten in einen Teppich rollt, ins Auto schleppt und anschließend eine möglichst menschenleere Gegend aufsucht. Denn wo immer ein Dalmatiner erscheint, erregt er Aufmerksamkeit. Wildfremde Menschen sehen sich entweder zum Lob des edlen Tiers oder zu spitzen Bemerkungen über den verabscheuenswerten Besitz von Modehunden veranlaßt, während Kinder unter acht Jahren angesichts der fleischgewordenen Disney- Kreatur in die Knie brechen wie ein katholischer Kirchentag, dem unvermutet das liebe Jesulein zugezwinkert hat. „Oh, seht nur“, flüstern sie einander zu, „da ist Hundertundeins – Dall Martina.“

Sollte der glühendste Wunsch auch Ihres Kindes der Besitz von so einem sein, gehen Sie pädagogisch vor: Leihen Sie irgendwo einen Dalmatiner aus, knüpfen Sie ihn an das Kind und verbieten Sie letzterem heimzukehren, bevor der Hund müde ist. Viele Stunden später wird der erschöpfte kleine Tierfreund eine wertvolle neue Erkenntnis gewonnen haben; nämlich die, daß es sich mit Dall Martinas genauso verhält wie mit Friewillys: reizend anzuschauen, aber ein bißchen zu bewegungsfreudig für ein Leben an der kurzen Leine. Michaela Behrens

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