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Nicht alle müssen Inserate anschleppen

Blüm will die Bewerbungspflicht für Arbeitslose nicht so eng sehen: Verzicht auf eine Durchführungsverordnung  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Manchmal treiben magere Sätze in einem umfänglichen Gesetzestext die Menschen auf die Straße. Arbeitslose haben „auf Verlangen des Arbeitsamtes“ ihre „Eigenbemühungen nachzuweisen“, wenn sie nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren wollen, heißt es im Paragraph 119 des neuen Sozialgesetzbuches III. Paragraph 122 schreibt vor, daß sie sich alle drei Monate beim Amt „persönlich arbeitslos melden“ müssen. Das ist zuviel für die Betroffenen: Morgen, am Aktionstag, lassen sie aus Protest gegen Meldepflicht und Bewerbungszwang Luftballons in den Himmel steigen und tragen Särge über die Straße.

Der Vermittlungsausschuß für Arbeit und Sozialordnung tagt heute zum Thema. In der Vorlage von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) heißt es, daß die persönliche Arbeitslosmeldung „wegen ihrer Absolutheit zu unbeabsichtigten Nebenfolgen und unzumutbaren Härten“ führt.

Von der vierteljährlichen Meldung sollen daher Arbeitslose befreit werden, die älter als 55 Jahre sind, „die wegen in ihrer Person liegenden Umständen nur besonders schwer vermittelt werden können, oder bei denen die Verpflichtung zur Erneuerung der Meldung unbillig hart wäre“. Etwa eine Million ältere Arbeitslose sind von der Befreiung betroffen, dazu kommen die Behinderten und Kranken. Die Befreiung erspart Verwaltungsaufwand: Sie betrifft vor allem jene, die auf dem Arbeitsmarkt ohnehin chancenlos sind. Morgen soll die Gesetzesänderung in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet werden.

Blüm besteht aber prinzipiell auf der Meldepflicht. „Über die Meldeverpflichtung wollen wir kontrollieren, ob die Leute sich auch bewerben“, sagt Ministeriumssprecherin Heike Helfer. Fraglich ist, ob der Gesetzespassus zum gewünschten Erfolg verhilft. Aus den Arbeitsämtern werden Zweifel an dem Vorhaben laut.

„Wie sollen wir denn beurteilen, ob sich jemand überzeugend bewirbt?“, stöhnt ein Arbeitsberater aus Eberswalde, der nicht genannt werden will. Reicht es, wenn der Arbeitslose im Computer des Arbeitsamtes nach einer Stelle sucht? Langt es, wenn jemand die Zeitungsannoncen ausschnippelt? Müssen die Arbeitslosen von einer Firma zur nächsten laufen und sich die Bewerbungen attestieren lassen? Der Mann vom Amt ist sauer: „Die neuen Regeln sind eine Provokation, sie lassen uns die Arbeitslosigkeit nur noch verwalten.“ Er kenne seine „Pappenheimer“. Diejenigen, von denen er annehme, sie aalten sich im Nichtstun, lade er ohnehin häufiger aufs Amt.

Schärfere Kontrollen verursachen den Arbeitsvermittlern erheblichen Arbeitsaufwand. Deswegen will man in Eberswalde solange davon absehen, bis eine ministerielle Durchführungsverordnung die Kriterien dafür vorlegt.

Die aber wird nicht kommen. In den vergangenen Wochen ist Arbeitsminister Blüm politisch in die Defensive geraten. Matthias Rockstruh, Referatsleiter im Ministerium, hält eine „Checkliste für Bewerbungen für kein sinnvolles Instrument“. Der jeweilige Arbeitsvermittler könne selbst bestimmen, was ihm zum Nachweis der Eigeninitiatve genüge. So könne es durchaus ausreichen, wenn der Arbeitslose sorgfältig die Stellenanzeigen der Zeitungen studiere, möglich sei es aber auch, eine bestimmte Anzahl von Bewerbungsschreiben zu fordern oder sich die Absagen vorlegen zu lassen.

Die Verantwortung dafür, wann das Arbeitslosengeld gekürzt wird, delegiert das Ministerium an die Sachbearbeiter in den Ämtern. Sie dürfen zwar verstärkt Druck ausüben, müssen aber auch notfalls vor Gericht beweisen, daß sie nicht unverhältnismäßig viel oder gar unsinnige Anstrengungen vom Arbeitslosen verlangt haben.

Referatsleiter Rockstruh stellt die Bewerbungspflicht als taktisches Ziel dar: „Der Nachweis der Eigenbemühungen ist ein plakativer Ausdruck für etwas Selbstverständliches“, sagt er. Man könne doch unterstellen, daß die Mehrheit der Arbeitslosen wieder eine Beschäftigung suche. Wenige Monate vor der Wahl hat man in der Regierung erkannt, daß eine genaue Auslegung des Bewerbungszwanges die Stimmung unter den fünf Millionen Arbeitslosen nur anheizen würde.

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