: Ein Kirchenstreit tobt in Siebenbürgen
In Rumänien fodern die Griechisch-Katholischen die Rückgabe ihres von den Kommunisten enteigneten Besitzes. Die Orthodoxen stellen sich quer. Nach einem Urteil muß nun die Kathedrale von Cluj zurückgegeben werden ■ Aus Cluj Keno Verseck
Von ihrer windschiefen Hütte aus hat Olivia Papiu einen idyllischen Blick auf das Dorf im Tal. Auf die alten Häuser an den Hängen, auf die steil abfallenden Gärten und auf die sechs Kirchtürme. Das Salzbergwerk mit den Industrieanlagen und dem Güterbahnhof ist von hier aus nicht zu sehen.
Aber für die Idylle hat Olivia Papiu im Augenblick nichts übrig. Wütend zeigt sie mit dem Finger nacheinander auf drei der Kirchen und ruft erbost: „Das sind unsere Kirchen! Sie haben sie uns einfach gestohlen, diese Diebe, diese... Herrgott im Himmel, wie mich das aufregt! Und dabei stehen die Kirchen leer! Dieser verfluchte Pope! Ein dummer Traktorist war er früher! Seine Mutter soll er...!“ Sie stößt die schlimmsten rumänischen Verwünschungen aus. Ihr Mann, Coriolan, versucht sie zu beruhigen: „Ist ja gut...“ Doch sie fährt ihn wütend an: „Schweig! Jetzt rede ich! Seine Mutter soll er..., der Mistkerl von Traktorist.“
Olivia Papiu ist eine winzige alte Frau. Ihre Augen blitzen, ihre Haare sind lang und pechschwarz, ihr braungebranntes Gesicht ist über und über mit Runzeln bedeckt. Und ihre Stimme hat eine Kraft, als sei sie nicht einundsiebzig, sondern fünfzig Jahre jünger. Trotz der billigen, filterlosen Zigaretten, die sie ständig raucht.
Durch das Fluchen kommt sie nun doch langsam außer Atem. Ihr Mann nutzt die Gelegenheit: „Jetzt setz dich mal hin, Mutter, und laß mich auch etwas sagen. Wissen Sie, es ist wirklich nicht sehr christlich. Wir dürfen nicht mal eine der leeren Kirchen mitbenutzen. In diesem Winter war ein großer Schneesturm. Das Dach der einen Kirche ging kaputt. Wir haben dem Priester Geld und Hilfe bei der Reparatur angeboten und dafür verlangt, daß wir eine der Kirchen mitbenutzen dürfen. Er hat abgelehnt.“
Ocna Dejului (Salzdorf) ist ein Ort mit dreitausend Einwohnern im Somescher Bergland, eine Autostunde von der siebenbürgischen Metropole Cluj (Klausenburg) entfernt. Es ist bekannt für sein großes Salzbergwerk. Und für einen der eklatantesten Fälle im Streit zwischen der orthodoxen und der griechisch-katholischen Kirche Rumäniens. Von den sechs Kirchen im Dorf ist eine katholisch, eine evangelisch. Die restlichen vier besitzen die Orthodoxen. Eine haben sie selbst errichten lassen. Die anderen drei gehörten der griechisch-katholischen Kirche, bevor die rumänischen Kommunisten sie 1948 verboten und ihr Eigentum den Orthodoxen übergaben (siehe Kasten). So wie fast überall in Siebenbürgen haben die Griechisch-Katholischen, nachdem sie seit dem Sturz des Diktators im Dezember 1989 wieder offiziell zugelassen sind, auch in Ocna Dejului keine einzige Kirche zurückbekommen. Der orthodoxe Priester hält die Gottesdienste wochenweise abwechselnd in einer der vier Kirchen ab. Die anderen stehen derweil leer.
Von einem Bergwerksunternehmen hat die griechisch-katholische Gemeinde mit ihren hundertfünfzig Gläubigen ein altes Holzhaus gemietet, in dem sich bis nach dem Krieg die Dorfschule befand. Die fünfzig Quadratmeter sind notdürftig als Altarraum eingerichtet. Nicht einmal alle Gläubigen würden hineinpassen. „Wir haben uns immer wieder bemüht, mit dem orthodoxen Priester zu sprechen“, sagt die Frau des Kantors. „Aber der Priester redet kein einziges Wort mit uns. Er hat Angst, daß die Gläubigen zu uns überlaufen, wenn wir erst mal eine Kirche haben. Die Leute hier waren nämlich vor 1948 fast alle griechisch- katholisch. Jetzt kommen sie bloß nicht zu uns, weil sie denken, diese Schule ist keine richtige heilige Kirche.“
Zumindestens an diesem Tag ist keiner von den orthodoxen Gläubigen zu finden, der die Situation als gerecht empfände. Viele Dorfbewohner antworten nur zögernd, so als hätten sie Angst oder als schämten sie sich für ihren Priester. Aber ausnahmslos alle meinen letztlich, daß die Griechisch-Katholischen wenigstens eine Kirche bekommen sollten. Ein Mitglied aus dem orthodoxen Kirchenrat, Iacob Tarta, sagt: „Die meisten hätten nichts dagegen. Es sind doch immerhin unsere rumänischen Glaubensbrüder.“ Und warum bekommen die Glaubensbürder dann keine Kirche? Tarta schweigt bedrückt. Dann sagt er leise: „Es ist eine Schande.“
Der orthodoxe Priester ist nicht zu sprechen. Seine Frau weiß nicht, wo er ist. Ihr Schwiegersohn wird gleich wütend, als er erfährt, daß der Besucher von der Presse kommt. „Melden Sie sich vorher an, dann sehen wir weiter.“ Die Frau des Priester ist gesprächiger und schildert ihre Sichtweise: „Die Griechisch-Katholischen sind doch nur eine Handvoll Leute. Warum brauchen sie eine ganze Kirche? Außerdem sind sie keine richtigen Rumänen. Sie sind nicht von unserer rumänischen Hierarchie geweiht. Sie stecken mit den Ungarn unter einer Decke. Wer weiß, womöglich wollen sie noch Siebenbürgen von Rumänien loßreißen?“
So wie in Ocna Dejului gibt es in etwa vierhundert Dörfern, Gemeinden und Städten Siebenbürgens mehr als eine Kirche und darunter wiederum mindestens eine, die früher den Griechisch-Katholischen gehörte. Doch die orthodoxe Kirche klammert sich kompromißlos an das ehemalige Eigentum der Griechisch-Katholischen – vor allem aus Furcht, Arbeitsplätze für den Klerus sowie Gläubige und staatliche Subventionen als lukrative Einnahmequellen zu verlieren. Deshalb erhielt die griechisch- katholische Kirche in Siebenbürgen von ihren ehemals etwa zweitausend Kirchen nur ganze sieben zurück, sechs davon im westrumänischen Banat, dessen orthodoxer Metropolit Nicolae Corneanu als offen gegenüber den Griechisch- Katholischen gilt. In manchen Ortschaften dürfen griechisch-katholische Gläubige ihre ehemaligen Kirchen mitbenutzen – allerdings ohne Eigentumsrecht.
Seit 1990 prozessierte die griechisch-katholische Kirche um einen Teil ihres früheren Eigentums. Bis vor kurzem vergeblich. Ende Februar jedoch sprach der Bukarester Apellationsgerichtshof in einem nicht mehr anfechtbaren Urteil den Griechisch-Katholischen erstmals eine Kirche zu. Nicht irgendeine Kirche, sondern die ehemalige griechisch-katholische Bischofskathedrale zu Cluj. Vollzugstermin für die Kirchenübergabe war vergangenen Freitag.
An diesem Tag sind so viele Menschen in die Verklärungskirche von Cluj – die ehemalige Kathedrale – gekommen, wie sonst nicht einmal zu Ostern und Weihnachten. Auch vor der Kirche warten ein paar hundert Menschen. Der Gerichtsvollzieher kommt pünktlich um neun Uhr und fordert die Übergabe der Kirchenschlüssel. Doch Vater Titus Moldovan, der orthodoxe Priester der Kirche, weigert sich. Kein Reden, kein Verweis auf das nicht mehr anfechtbare Urteil hilft.
Was der Gerichtsvollzieher nicht schafft, setzen die griechisch- katholischen Gläubigen nun mit Gewalt durch. Sie haben acht Jahre prozessiert, Recht bekommen und wollen nicht mehr warten. Durch die Reihen der Orthodoxen hindurch, die den Kircheneingang blockieren, erzwingen sie den Eintritt in die Kirche. Drinnen gehen die Rangeleien in eine Schlägerei über. Theologiestudenten prügeln sich. Der Altartisch und das Kreuz gehen zu Bruch. Viele ältere Leute sind entrüstet: „Welch' unchristliche Schande!“ Der griechisch-katholische Pfarrer und prominente Politiker Matei Boila geißelt von der Kanzel herab die Vergehen der orthodoxen Kirche gegenüber den Glaubensbrüdern. „Verräter, Verräter“, hallt es ihm von der Gegenseite entgegen.
Draußen hat inzwischen eine Polizeihundertschaft den Zugang zur Kirche versperrt. Nach Stunden ziehen die Orthodoxen aus der Kirche ab. Die Griechisch-Katholischen verbarrikadieren den Eingang mit neuen Schlössern, junge Theologiestudenten wachen darüber, wer durch die Seitentür ein- und ausgeht. Etwa sechzig Gläubige halten die ganze Nacht über Wache in der Kirche. Am nächsten Tag gibt der orthodoxe Erzbischof von Cluj, Bartolomeu Anania, endlich nach: Er verkündet öffentlich, daß die orthodoxe Kirche den Anspruch der Griechisch-Katholischen auf die Verklärungskirche anerkenne.
Doch die griechisch-katholischen Gläubigen halten weiter Wacht in der Verklärungskirche, die nun wieder Bischofskathedrale ist. Sie wollen solange warten, bis in dieser Woche die Eigentumstitel vom Gericht und vom Katasteramt ausgestellt sind. Den Pfarrern ist die Freude anzusehen. Sie sind fast in Kampfesstimmung. Einer von ihnen sagt lächelnd und augenzwinkernd: „Es war der Tag der historischen Wahrheit. Ich will nicht zu Gewalttaten aufrufen, Gott behüte. Aber vielleicht fühlen sich die Gläubigen in den Dörfern durch unser Beispiel ermutigt, daß es auch anders geht. Vielleicht bringen sie nun auch ihre eigenen Schlösser an den leerstehenden Kirchen an.“
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