piwik no script img

Knackis schuldlos?

■ Knast-Aufsicht monierte dreckiges Glasdach / Übergriffe blieben unbemerkt / Keine Grenze zwischen Recht und Unrecht

„Führung“– ein Wort, das immer wieder fällt, beim Untersuchungsausschuß im Haus der Bürgerschaft, wo 16 Abgeordnete versuchen, die Mißstände in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen aufzuklären und ein paar hundert Meter weiter im Amtsgericht, wo vier Häftlinge und eine JVA-Beamtin wegen Körperverletzung auf der Anklagebank sitzen. Die Gefangenen sollen Sexualstraftäter verprügelt haben. Die Beamtin steht unter Verdacht, ihnen dafür die Zellentüren aufgeschlossen zu haben. Acht weiteren Beamten wird demnächst wegen Mißhandlung von Häftlingen der Prozeß gemacht.

Wie es dazu kommen konnte, weiß Hartmut Krieg, ehemaliger Leiter des Justizvollzugsamtes, nicht. Krieg hatte die „Fachaufsicht“über die Haftanstalt. Anstatt die Frage zu beantworten, wie er den Knast kontrollierte, referiert er über „den alten Dampfer Strafvollzug“. Er erzählt von den Gittern aus dem vorigen Jahrhundert, die erst kürzlich ausgetauscht wurden, von den acht Meter großen Zellen... Irgendwann platzt Andreas Lojewski (AfB), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, der Kragen. „Wenn Sie mir jetzt weiter ausweichen, werde ich ärgerlich“, ermahnt er den „ersten komplizierten Zeugen“.

Er habe unzählige Gespräche im Knast geführt, verteidigt sich Krieg. „Wenn man sich die Protokolle Ihrer Inspektionen ansieht, fällt aber auf, daß Sie sich mehr um bauliche Mängel gekümmert haben“, entgegnet Horst Isola (SPD). Im Haus III der Anstalt, in dem es zu den Mißhandlungen gekommen sein soll, monierte Krieg beispielsweise ein dreckiges Glasdach und eine undichte Dusche. Daß es immer eine bestimmte Schicht war, die die Häftlinge in die Verwahrzelle steckte, entging ihm, obwohl er auch die Wachbücher durchsah. Der Kripo fiel dieser Zusammenhang sofort ins Auge. „Mir ist das nicht aufgefallen“, gibt Krieg zu. Auch Gefangene hätten sich nie bei ihm beschwert. Das sei wohl darauf zurückzuführen, daß sich die Gefangenen in der Regel schriftlich beim Justizvollzugsamt beschwert hätten, vermutet Krieg. Auch die Beschwerde des Häftlings Hakki B. ging im Februar 1996 beim Justizvollzugsamt ein. Der Gefangene wurde nach Einschätzung der Kripo von den Beamten regelrecht gefoltert. Das Amt forderte die Stellungnahme der Anstalt an. Ein persönliches Fehlverhalten der Beamten sei nicht festzustellen, schrieb der ehemalige Knastchef Hoff an das Justizvollzugsamt. Der Fall war erledigt. Das Justizvollzugsamt entschied grundsätzlich nach Aktenlage und hielt es nicht für nötig, die Häftlinge persönlich anzuhören. „Dadurch kann man lernen“, räumt Krieg ein. „In Einzelfällen würde ich jetzt dafür plädieren, auch mal eine Anhörung durchzuführen.“

Ob er gewußt habe, daß Hoff – entgegen der Vorschriften – keine Dienstbesprechungen durchgeführt habe, will Helmut Pflugradt (CDU) wissen. „Nein, daß kann ich mir nicht erklären“, sagt Krieg. Natürlich seien solche Besprechungen wichtig, zum Bespiel, um über „Nähe und Distanz“zwischen Häftlingen und Beamten zu reden.

Wenig später wird der Beamte Jürgen N. vor dem Amtsgericht als Zeuge gehört. Sein Kollege Ingolf K. hätte eine Lederjacke von dem Häftling T. angenommen, berichtet er. Das Verhältnis zwischen dem Beamten K. und dem Häftling T. sei sehr eng gewesen. Der Beamte hätte den U-Häftling sogar nachts telefonieren lassen und vermutlich mit ihm Pornos geguckt. Es hätte im Knast „immer mehr Indianer und immer weniger Häuptlinge“gegeben, sagt der Anstaltspsycho-loge Beyer im Zeugenstand. Eine Führung habe es unter Anstaltschef Hoff nicht gegeben. Inwieweit die Häftlinge, die in einem „Klima“leben müßten, in dem der „Maßstab“zwischen Recht und Unrecht so verwischt sei, eigentlich noch schuldfähig seien, will einer der Verteidiger wissen. „Wir sind alle nicht in unserem Verhalten von der Umwelt frei“, antwortet der Psychologe.

Kerstin Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen