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Top: Topfpflanzen

In Zeiten schlapper Konjunktur ist Langlebiges angesagt. Zum Beispiel die Blume im Topf. Senioren stehen auf Veilchen, die Youngsters mehr auf Kornblumen  ■ Von Matthias Fink

Mehr Grün in der Stadt – das fängt im kleinen an, schließlich gibt es viele Möglichkeiten. Oder? „Die gehen wohl davon aus, daß alle einen 20-Quadratmeter-Balkon haben“, schimpft die Besucherin einer Buchhandlung. In den Bänden, in denen sie sich über die Gestaltung ihres Balkons schlaumachen möchte, leuchten dicke Blumenwülste von breiten, bayerischen Balkonen im Sonnenschein. Die Verlage wissen es: Woanders ist es stets schöner als zu Hause, und so sucht man sich dann auch seine Pflanzen aus.

„Viele bringen Pflanzen aus dem Mittelmeergebiet mit“, weiß Andreas Plietzsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität. Und das hat Tradition. „Die meisten Zierpflanzen kommen nicht von hier.“ Exotische Importe bereichern bis heute den Markt. Aus dem Urlaub würde man oft mehr außergewöhnliche Gewächse mitnehmen, als Geldbeutel, Gepäckmenge oder Zoll zulassen. Der Knüller, wenn sie in Berlin dann doch im Blumengeschäft stehen.

Martin Szyska, Inhaber des Reinickendorfer Blumenpavillon Dückwitz, kennt solche Reaktionen. „Ach, die habe ich in der Dominikanischen Republik gesehen, als wir eine Erlebnistour gemacht haben“, heißt es dann. Erinnerung an den Urlaub ins zu Heim zu holen sei ein Trend, der sich „im Schnittblumenbereich“ zeige.

Die schlechtere Konjuktur hat den Topfpflanzenbereich wachsen lassen. Die Leute schauen mehr aufs Geld und kaufen lieber etwas Langlebiges, sagt Szyska, der im Berliner Floristenverband aktiv ist. Auch lassen sie sich zunehmend besser beraten, damit ihnen die Pflanze nicht verdirbt.

Auch heimische Gewächse sind für Wohnung und Balkon gefragt, vor allem bei Jüngeren. Margeriten oder Kornblumen, die auf dem Feld wachsen, seien bei ihnen beliebt, während Geranien mehr den Ruf einer Omapflanze hätten. Die Berliner Senioren wiederum stehen namentlich auf Alpen- und Usambaraveilchen. Vorlieben und Abneigungen bleiben anscheinend über die Jahre konstant. Vor Calla etwa scheuen Ältere oft zurück. Szyska: „Als sie jung waren, war das eine typische Friedhofspflanze. Mittlerweile ist sie das nicht mehr, denn die Preise sind so gestiegen, daß man Calla nicht mehr so oft für Trauerkränze verwendet.“

Noch etwas hat sich geändert: Ökologische Fragen werden immer wichtiger. Viele Käufer versuchten ohne Spritzmittel auszukommen oder Schädlinge zumindest umweltschonend zu bekämpfen. Strengere ökologische Kriterien, etwa die Auswahl von Pflanzen, die sich möglichst gut in die heimische Nahrungskette einfügen, spielen dagegen noch eine geringere Rolle. „Die Leute haben ja auch meist nur ein oder zwei Balkonkästen.“

Andreas Plietzsch von der Humboldt-Universität ist da allerdings doch etwas strenger. „Nektararme oder pollenarme Pflanzen können für den Nahrungskreislauf in der Stadt problematisch sein.“

Bei modernen Züchtungen könne auch die Freude an den Pflanzen selbst schnell ein Ende finden. „Heute werden sehr viele Sorten gepfanzt, und die meisten Sorten sind Klone. Gibt es einen Schädling, sind sie alle hin, weil sie genetisch identisch sind.“

Bei größeren Pflanzen gibt es noch andere Probleme, wenn überall die gleiche Ware im Laden steht. „Winterfest“ stehe oft an Waren, die in Holland für den deutschen Einzelhandel abgepackt werden. Das treffe dort auch zu, ebenso in den dichtbesiedelten deutschen Absatzgebieten am Rhein. In Berlin ist aber das Klima anders, unter anderem kälter. Das sieht man den Pflanzen an.

Wer sich nicht beraten lassen will, kann zur heimatkundlichen Lektüre greifen. In dem erst zehn Jahre alten Buch „Von Balkon zu Balkon“ von Susann Hellemann und Lothar Binger erfährt man: „Pelargonien bildeten seit der Jahrhundertwende den beliebtesten Schmuck auf den Berliner Balkonen – besonders in der Zusammenfassung feuerroter ,Meteor‘ mit rosa Epheupelargonien. Bis heute hat sich an der Favorisierung dieser Farb- und Pflanzenzusammenstellung im Berliner Stadtbild wenig geändert.“

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