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Auferstehung

■ Jan Linders' Brecht-Messe für Städte-bewohner bei den „Jungen Hunden“

Mit nichts kann man einen toten Dichter toter kriegen als mit überlebensgroßen Geburtstagsfeiern. Kaum hat er seinen Kopf wieder ein paar Zentimeter über den Sargdeckel geliftet, bekommt er einen Liederabend übergebraten. Und sinkt benommen unter die Buchdeckel zurück.

Nicht so Bertolt Brecht. Dem alten Windhund gelingt es in den Momenten seines Aufblitzens doch immer wieder, ganz Unerwartetes auszuspucken: „Mein Lieblingsbuch ist die Bibel“, soll er neulich gesagt haben und darauf bestanden, „der letzte katholische Schriftsteller“zu sein.

Jan Linders nahm die Worte des frühen Protestanten und späten Marxisten ernst und reagierte konsequent. Da er mit Heiner Müller – Brechts jüngerem Nachbarn auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Ostberlin – Theater sowieso als „Arbeit an der Auferstehung der Toten begreift“, entschloß er sich, den Augsburger Emigranten zum 100jährigen mit einem 2000 Jahre alten Ritual der Totenbeschwörung zu ehren: der christlichen Meßfeier.

„Ich hatte immer schon sehr starkes Interesse an Formen“, sagt der 34jährige, der in Hamburg und Baltimore Germanistik studierte. Brecht, Beckett, Müller und Wilson sind die Theatermacher, die ihn am meisten interessieren, „weil ich wissen möchte, auch bei Brecht: ob wir den noch brauchen als Erfinder neuer Formen“.

Bei einem Regie-Seminar vergangenen Sommer im Berliner Künstlerhaus Bethanien, das die Brechtmesse nebst Kampnagel und den Schwetzinger Festspielen koproduziert, lernte Linders die Schauspieler Martin Glade und Susanne Kirchner kennen. Mit ihnen, Dorothea Reinicke und dem Schotten Alain Craig Wilson sowie dem Hamburger DJ Marcel Hüppauff nahm er sich Brechts Mitte der 20er Jahre erschienenem Lesebuch für Städtebewohner an, „weil es die richtigen Fragen stellt: Wie bilden sich Gruppen? Soll man einen Scheinindividualismus leben? Soll man berühmt werden? Oder lieber ,die Spuren verwischen'?“

Strukturell folgt die Arbeit genau dem Ablauf einer katholischen Messe. Zur rituellen Eröffnung gibt es ein Schuldbekenntnis – „Ich bin die Pest!“-, dann folgt ein Wortgottesdienst mit Lesungen samt Brecht-Predigt, im Anschluß das Heilige Abendmahl für die Sinne, zum Abschluß die Entlassung der „gereinigten“Gläubigen. Kleine Unterschiede zum Original lassen sich nicht vermeiden: So zerbricht statt einer Hostie eine Schallplatte, statt Kirchenfenstern gibt es die Rückseiten von Schulkarten zu sehen (Leere statt Lehre), und das Kreuz, Symbol des Leidens eines Einzelnen für alle, wird ersetzt durch eine mathematische Tausendertafel, die für das Untergehen in der Masse steht. Der Altar wird aus beweglichen Overheadprojektoren gebaut.

„Verhaltenslehren der Kälte“, wie Brecht sie empfahl. Was soll der „gereinigte“Zuschauer lernen? „Naja“, sagt Linders, „Heilsversprechungen gibt es nicht mehr. Aber den Glauben an Zusammenarbeit sollten wir auch in den Städten nicht verlieren.“

Christiane Kühl

Donnerstag, 23. – Samstag, 25. April, 20.30 Uhr, Kampnagel k2

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