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"Schmarotzer sind sehr nützlich"

■ Streitgespräch: Arbeitslos und trotzdem zufrieden? Das geht, meinen die "Glücklichen Arbeitslosen" und fordern das Recht auf Nichtarbeit und dessen Finanzierung durch die Gesellschaft. Ein unglücklicher Er

Die Gruppe der „Glücklichen Arbeitslosen“ hat kürzlich ein Manifest veröffentlicht. Darin wird die Lohnarbeit als entfremdete und sinnlose Tätigkeit gegeißelt. Mila Zoufall von der Gruppe geht seit 14 Jahren keiner geregelten Lohntätigkeit nach – und genießt das Leben. Für die 32jährige gelernte Kellnerin ist Arbeitslosigkeit gleichbedeutend mit Freiheit und sinnvoller Tagesgestaltung.

Christof Schaffelder , 35jähriger Mitarbeiter der Zeitschriften „Scheinschlag“ und „Straßenfeger“ sowie Politaktivist, will dagegen regulär arbeiten – und findet nichts. Völlig unterschiedlich ist ihre Einschätzung darüber, was die Arbeitslosen tun und fordern sollen, die am heutigen vierten Protesttag des Aktionsbündnisses Erwerbslosenproteste auf die Straße gehen. Die Demonstration soll von der Gedächtniskirche zur Börse an der Hardenbergstraße in Charlottenburg führen. Start ist um 11 Uhr.

taz: Sie gehören zur Gruppe der Glücklichen Arbeitslosen. Geht es Ihnen gut ohne Arbeit?

Mila Zoufall: Meistens schon, nicht immer. Ich leide an den politischen Verhältnissen.

Tun Sie gar nichts?

Zoufall: Im Gegenteil, ich bin sehr beschäftigt. Ich lebe, verschiedene Tätigkeiten gehen ineinander über. Ich schreibe, lese, koche, halte Kontakte aufrecht. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Und ich übersetze Texte aus dem Italienischen, die es nicht wert sind, für einen großen Markt zu erscheinen. Ab und zu verdiene ich damit Geld.

Wovon leben Sie?

Zoufall: Von Sozialhilfe, aber die reicht oft nicht.

Sie sind eigentlich nicht arbeitslos, fordern aber die Befreiuung von der Arbeit. Warum?

Zoufall: Weil das Konzept der Arbeit die Menschheit nicht glücklich macht. Sie hat es lange genug probiert, aber offensichtlich nicht geschafft.

Sie dagegen sind unglücklich, weil Sie keine Arbeit haben?

Christof Schaffelder: Ich hätte gerne eine Arbeit mit Sozialversicherung. Demnächst werde ich Vater – dafür würde ich gerne eine Absicherung haben, auch für den Fall einer Krankheit. Außerdem schafft die Arbeit auch soziale Kontakte.

Negieren Sie völlig, daß Lohnarbeit auf dem normalen Arbeitsmarkt einen Sinn haben kann?

Zoufall: Ausnahmen bestätigen die Regel. Die meiste Arbeit ist sinnlos.

Zum Beispiel?

Zoufall: Die Glasdächer auf den S-Bahnhöfen zu putzen hat keinen Sinn. Wenn man keine Glasdächer einbaute, würde niemand den Dreck sehen, und wir könnten uns die Reinigung sparen. Es gibt viel Arbeit, die nur gemacht wurde, um jemanden zu beschäftigen.

Schaffelder: Die S-Bahnhöfe werden freundlicher durch Glasfenster. Davon haben die Leute etwas. Die Fenster zu putzen ist deshalb eine sinnvolle Tätigkeit. Allerdings wird heute meist nur das als nützlich definiert, was Unternehmen und Konzernen dient. Es gibt aber unheimlich viel Arbeit, die nicht das Bruttosozialprodukt steigert und trotzdem einen Sinn hat. So etwas sollte bezahlt werden. Zum Beispiel Spielplätzesaubermachen, Kunst, Sterbebegleitung.

Zoufall: Ich bin dafür, daß alle Tätigkeiten bezahlt werden, die man sich selbst zur Aufgabe macht. Wenn jemand es für wichtig hält, seine Großmutter zu pflegen, dann sollte das auf jeden Fall finanziert werden. Aber auch wenn jemand nichts tun will, muß er Geld vom Staat bekommen. Der springende Punkt ist doch, daß es sonst automatisch Leute gibt, die angeblich keine sinnvolle Arbeit machen. Vor irgendeiner Behörde muß ich mich dann rechtfertigen, ob ich nützlich bin oder nicht. Das ist keine Basis zum Leben.

Noch mal: Es gibt doch nützliche Tätigkeiten auf dem normalen Arbeitsmarkt, die Spaß machen und von denen andere Menschen profitieren.

Zoufall: Ein Auto herzustellen kann der Marktlogik zufolge gut sein. Das heißt nicht, daß das Produkt sinnvoll ist oder die Produzenten sich bei der Herstellung wohl fühlen. Es gibt natürlich auf dem Arbeitsmarkt sinnvolle Dinge, denn ich kaufe sie ja. Nichtentfremdete Arbeit gibt es aber kaum.

Was ist denn Arbeit für Sie?

Zoufall: Vor allem ein jahrhundertealter Moral- und Erziehungsbegriff.

Schaffelder: Arbeit ist für Erwachsene die Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem. Ohne diese Institution geht es vielen Leuten schlecht. Auch wenn man soziale Kontakte jenseits dieser Schnittstelle aufbaut, sind sie häufig bröseliger. Bei der Arbeit entwickeln sie sich stabiler.

Zoufall: Ich bin seit 14 Jahren arbeitslos und kann mich vor sozialen Kontakten kaum retten. Man hat doch viel mehr Zeit und Lust. Wir haben zum Beispiel einen Austausch zwischen arbeitlosen Bauern im Oderbruch und Städtern in Berlin aufgebaut. Fast alle, die an der Direktvermarktung beteiligt sind, sind arbeitslos.

Sie sind also nicht gegen die Arbeit, sondern gegen ihre kapitalistische Vermittlung?

Zoufall: Auch das Wertesystem stört. Eine Tätigkeit hat nicht nur deshalb Wert, weil sie mit Geld bezahlt wird.

Wenn Sie Lebensmittel aus dem Oderbruch in der Stadt verkaufen, ist das nomaler Handel.

Zoufall: Nein, eine freie Tätigkeit.

Weil Sie sie selbst organisieren?

Zoufall: Wir bewerten sie auch selbst.

Schaffelder: Das ist ein ganz schöner Luxus und ein sehr elitärer Anspruch dazu. Das schaffen doch nur ganz wenige Leute.

Zoufall: Sicher ist das ein Luxus. In Berlin hängen da auch nur ungefähr 100 Leute dran. Das können wir uns leisten, weil wir Zeit haben. Wir fahren im Sommer manchmal raus und helfen den Bauern.

Sie haben also eine selbstverwaltete Parallelwirtschaft aufgemacht, in der auch mit Geld bezahlt wird – allerdings zu Preisen, die Produzenten und Konsumenten direkt miteinander vereinbart haben.

Zoufall: Der anonyme Markt kann unsere Arbeit nicht fremdbestimmen. Und Mehrwert wird auch nicht abgeschöpft.

Wenn es nach Ihnen geht, sollen alle Menschen für ihre selbstbestimmte Tätigkeit oder auch Nichttätigkeit von der Gesellschaft bezahlt werden, und zwar ohne daß irgendwelche Kriterien zugrunde liegen. Sagen da die Leute nicht: Das ist eine Idee von Schmarotzern?

Zoufall: Was sind Schmarotzer? Sie kommen in der Natur vor und fressen das Ungeziefer von der Haut ihrer Wirte. Sie sind sehr nützlich. Sie tun nichts – außer zu fressen. Fressen ist eine Tätigkeit.

Was halten Sie von der kriterienlosen Grundsicherung?

Schaffelder: Ich hätte nichts dagegen. Aber mein Streitpunkt liegt woanders. Eine Grundsicherung für alle reicht nicht. Denn die Gesellschaft hat die Pflicht, auch Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Treten Sie ein für das Recht auf Arbeit bei gleichzeitigem Recht auf Nichtarbeit?

Schaffelder: Ich plädiere für das Recht auf Arbeit. Arbeitszwang darf dagegen nicht sein. Das heißt, es müßte ein Mindesteinkommen garantiert werden und zusätzlich ein einklagbares Recht auf honorierte Arbeit.

Woher nehmen sie den moralischen Anspruch, daß die Gesellschaft Sie finanzieren soll, obwohl sie möglicherweise gar nichts tun?

Zoufall: Ich bin ja tätig – selbsttätig. Reichtum entsteht im übrigen nicht da, wo wirklich gearbeitet, sondern dort, wo spekultiert wird. Ich würde gerne leben von dem Geld der Banken und Spekulanten.

Schaffelder: Richtig, die Reichen müßten die Hälfte ihres Einkommens abgeben, um die Grundsicherung und einen öffentlichen Sektor zu finanzieren, in dem das Recht auf Arbeit verwirklicht wird. Die Kommunen sollten den Leuten Tätigkeiten anbieten, wenn sie eine haben wollen.

Zoufall: Nein, man muß selbst erkennen, was wichtig ist. Wenn dir ständig jemand sagt „Hier bitte, siehst du nicht, daß es dreckig ist?“, dann bleiben wir unmündig.

Schaffelder: Das sollte schon organisiert werden. Die Arbeiterwohlfahrt könnte bespielsweise ein paar Stellen einrichten, wo, sagen wir, sechs Leute jeweils 20 Stunden arbeiten. Wenn du krank bist, rufst du dort an, und die gehen für dich einkaufen. Eine von anderen Menschen vorstrukturierte Beschäftigung kann ein stabiles Zentrum sein. Arbeit ist wie eine Stange, an der die Pflanze hochwächst. Mit dieser Hilfe kann ich mein restliches Leben gestalten.

Fremdbestimmung und gesellschaftliche Regelungsmechanismen sind also die Voraussetzungen, um in anderen Bereichen kreativ sein zu können?

Schaffelder: Das ist natürlich polemisch. Aber erst Arbeit als die Schnittstelle zur Gesellschaft macht Freiheit möglich.

Zoufall: Wieso sollte fremdbestimmte Arbeit notwendig sein? Das würde wieder nur einen mächtigen bürokratischen Apparat aufrechterhalten. Mit vielen Leuten, die am Computer sitzen und überflüssige Dinge machen. Offiziell haben wir fast fünf Millionen Arbeitslose. Man muß endlich damit umzugehen lernen, daß man offenbar kein Recht auf Arbeit hat.

Sie verlangen die Anerkennung der Realität.

Zoufall: Man kann sich nicht immer in Forderungen flüchten. Wir gehen wir mit der Situation um? Da setzt unser Manifest an. Arbeitslose, die Ihr unglücklich seid, laßt uns was daraus machen.

Was soll die Arbeitslosenbewegung denn tun?

Zoufall: Ich würde nach privaten Sponsoren suchen. Wir haben deshalb Adoptivverträge entworfen. Da kann jemand, der seiner Meinung nach genug Geld hat, einen Arbeitslosen anstellen, spart damit Steuern und schenkt dem Adoptierten die Ersparnis.

Gibt es solche Leute?

Zoufall: Bisher haben wir einen ausgefüllten Adoptionsvertrag zurückbekommen.

Schaffelder: Das ist doch kein Modell. Damit kann man nicht fünf Millionen Leute versorgen. Man muß auf den Staat setzen. Wer sonst soll Umverteilung im großen Maßstab durchsetzen?

Zoufall: Wenn ich auf den Staat warte, kann ich lange warten. Der größte Fehler der Arbeitslosen ist es, sich an irgendwelche politischen Organisationen zu wenden. Die Arbeitslosen müssen sich selbst aus der Misere ziehen.

Schaffelder: Das staatliche Gewaltmonopol muß dahinterstehen, um das Geld der Spekulanten zu sozialisieren.

Zoufall: Man kann auch direkt zu ihnen gehen und sagen, daß man ihr Geld haben will. Wir haben das vor. Das eigentlich Wichtige ist aber das Coming-out: „Ich bin arbeitslos, ich lebe damit.“ Mit den Schwulen war es genauso. Heute sind sie stolz darauf. Auch Arbeitslosigkeit ist eine Chance. Man kann etwas anderes mit seinem Leben anfangen, als 40 Jahre lang arbeiten zu gehen. Interview: Hannes Koch

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