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Kostbarkeiten und billiger Schund

Möbel zum Kubikmeterpreis: Heute feiert das Gebrauchtwarenhaus der Stadtreinigung einjähriges Jubiläum. Neue Besitzer für 65 Prozent des Sperrmülls  ■ Von Kirsten Niemann

Ein wenig staubig ist das Gerät, und es riecht ein bißchen, aber das stört den sachverständigen Trödelkunden nicht. Sorgfältig begutachtet der junge Student die Lampe. Kurios sieht sie aus, mit ihrem weißen, geschwungenen Plastikfuß und dem orangefarbenen Stoffschirm im imprägnierten Blümchenmusterlook. Langsam schraubt er die Birne heraus, lugt in die Fassung, dreht sie wieder hinein und zieht zwei-, dreimal kontrollierend an der Strippe. Keine Frage, der Bursche versteht sich aufs Trödeln: Mit 25 Mark in der Hand trägt er den schrillen Leuchtapparat schließlich zur Kasse.

Derzeit sind es die fiesen Dinge im 70er-Jahre-Design, die allgemeinen Kultstatus erlangt haben. Über Geschmack läßt sich eben nicht streiten. Während manch einer eine Stange Geld dafür ausgeben würde, ein Objekt wie die Stehlampe sein eigen nennen zu dürfen, gibt es andere, die dafür bezahlen, daß es ihnen endlich einer vom Hals schafft.

„Wovon der eine sich trennen will, das ist für den anderen ein richtiger Schatz“ — so einfach ist die Idee des Gebrauchtwarenhauses der Berliner Stadtreinigung (BSR), das heute mit einem großen Hoffest seinen ersten Geburtstag feiert.

Die Kreativität des Flohmarkts wird heraufbeschworen. Denn hier kann man stöbern und Kostbarkeiten bergen — oder dem geschmacklosesten Schund gegenüberstehen. Auf den Standpunkt allein kommt es an.

Mehr als 50.000 Tonnen Sperrmüll sind im vergangenen Jahr über die Berliner Sortiermaschinen gefahren. „65 Prozent des normalen Sperrmülls können wieder an den Verbraucher zurückgeführt werden“, erklärt BSR-Mitarbeiter Bernd Müller, „die beste Abfallvermeidung ist die Abfallverwendung.“ In den Schredder kommt nur, was beim besten Willen nicht mehr anzubieten ist. Auf den Unkostenbeitrag von 70 Mark für jeden abtransportierten Kubikmeter verzichtet die Sperrmüllabfuhr nur dann, wenn das Gerümpel noch verwertbar ist. Die Bedingung: „Die Sachen müssen sauber, heile, eben in Ordnung sein. Will uns einer behumsen — dann muß er zahlen.“

Das Konzept scheint aufzugehen: Immerhin 20.000 Kunden wurden im ersten Jahr gezählt. Darunter sind vor allem Leute, die rechnen müssen. Wie der Student, der sich seine erste Bude einrichtet. Oder der Designkundige auf Schnäppchenjagd. Oder der Ehemann, der kürzlich von zu Hause rausgeflogen ist und sich vorübergehend ein neues Quartier einrichten muß.

Braucht vielleicht einer eine Schrankwand aus den Sixties, mit einer eingebauten Hausbar im Klappfach für schlappe 280 Mark? Ein altes Radio, das so groß ist wie ein Hamsterkäfig für nur 20 Mark? Daneben steht ein Bord mit vergilbten Büchern. Das Doppelbett aus den 80ern mit integriertem Radiowecker am Kopfende ist sogar für unschlagbare 160 Mark zu haben.

Die Preise richten sich nach dem Kubikmeterpreis — und der ist niedrig: „Zweieinhalb Kubikmeter — das macht bei dieser hochwertigen Schrankwand 400 Mark“, rechnet die Verkäuferin im Handumdrehen vor.

Wird ein Stück vom BSR-Warenhaus-Personal bestenfalls als „gut“ beurteilt wie die Schrankwand nebenan, im Ost-Design und nicht einmal neuwertig, kostet das Möbelstück nur die Hälfte. Einrichtungsgegenstände zweiter Wahl, beispielsweise ein alter Stuhl mit mittelgroßer Macke, sind geradezu spottbillig.

Kult oder Mist - das bestimmt der Kunde

Nicht nur Sperrmüllartikel von zweifelhaftem Charme landen in den Regalen. Manchmal finden sich sogar recht hinreißende Stücke aus Wohnungsauflösungen, wie eine alte Waschmaschine aus dem Jahr 1920 — mit Riemenantrieb und manueller Schleudertrommel. Die kommt auf einer der Auktionen unter den Hammer, die drei- bis viermal im Jahr veranstaltet werden. Kurze Weile verheißen auch die mit Glasnippes und Porzellan gefüllten Regalböden oder die alte Schlagerplattensammlung, aus einer Zeit, lange bevor Guildo Horn sein erstes Piep gesagt hat. Kult oder Mist — das bestimmt allein der Kunde.

BSR-Gebrauchtwarenhaus-Party: Am heutigen Samstag von 10–20 Uhr, Rahmenprogramm mit Elvis Double, Leo Bischof, der Gruppe Juckreiz, dem Neue-Deutsche-Welle-Interpreten Markus und der BSR-Big-Band, Holzmarktstraße 19–24, Mitte.

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