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Zwischen den RillenRauf und runter, immer munter

■ Zeitläufte des Rock: Neues von Sonic Youth und Soul Asylum

„A Thousand Leaves“ – der Titel des mittlerweile vierzehnten Sonic-Youth-Albums erzählt etwas von der Geschichte dieser Band, zeugt von den Nöten, in denen sie sich zumindest in künstlerischer Hinsicht in den letzten Jahren befand. Jahrelang hatte die Band Punkrock auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, hatte Noise-Gewitter entfacht, Musik und Trashkultur zusammengedacht und selbst Public Enemys Chuck D für ein Album gewonnen. Und plötzlich fanden sie sich beim großen weißen Mittelschichtsbühnenspektakel „Lollapalooza“ wieder, wurden von der MTV-Nation weltumspannend geliebt – und von alten Freunden in ihrer Eigenschaft als Trendspäher für die Industrie plötzlich gehaßt.

Das irritierte, so hatten sich Sonic Youth den Teenage Riot nicht vorgestellt, und diese Irritationen merkte man ihnen in ihren letzten, arg richtungslos geratenen Albumveröffentlichungen an. Die Lesart dafür: Sonic Youth inszenieren ihren eigenen Verfallsprozeß, das aber nicht lustvoll, sondern angespannt und genervt.

Mit „A Thousand Leaves“ scheinen sie sich wieder locker gespielt zu haben. Ohne Selbstzweifel widmen sie sich den Spielereien, Kinkerlitzchen und Soundscapes, an denen sie ja immer auch ihren meisten Spaß hatten. Die vorherrschende Stimmung auf dem Album ist zwar dunkel und melancholisch. Doch Stücke wie das frivole „Wildflower Soul“, wie „Karen Koltrane“ (wo Lee Renaldo ziemlich perfekt und gemein einen auf Michael Stipe macht) und wie der epische Allen-Ginsberg-Tribut „Hits of Sunshine“ sind so lang geraten, schippern in solch beschaulichem Gitarrengeplinker dahin, daß man geradezu Angst bekommt, Sonic Youth könnten es sich fast zu perfekt eingerichtet haben in ihrem neuen Wohlbefinden.

Verquerer geht es meist zu, wenn Kim Gordon das Mikrofon übernimmt, da steht dann PUNK wieder groß und fett in den SY- Zusammenhängen. Und als ob sie es schon lange nicht mehr stören würde, einen Hit produzieren zu müssen, haben sie mit „Sunday“ auch einen Song dabei, der so kurz, einfach und eingängig ist, daß man ihn im Fernsehen und Radio rauf und runter spielen kann.

„A Thousand Leaves“ ist die Antwort an alle, die dachten, Sonic Youth würden eine Art Grateful Dead der Neunziger (oder, noch schlimmer, eine Art Underground-Derivat der Stones) werden und nur noch als Karikatur ihrer selbst vor sich hin werkeln. Die Band hat sich angefreundet mit den für sie eigentlich viel zu perfekten Bedingungen, unter denen sie weiterhin Musik machen muß, kann und wohl auch will.

„Giving up on punk as any sort of identity“, hat Thurston Moore den Plan dieser Tage genannt, und sieht man sie solcherart befreit, freut man sich richtig darauf, Sonic Youth auch in das nächste Jahrtausend zu begleiten.

Sorgen und Nöte begleiten auch die Produktion und Veröffentlichung des neuen Albums von Soul Asylum, ohne daß die Band aus Minneapolis ihre Lehren daraus gezogen hätte. „Candy From A Stranger“ ist nach einer neuen (nämlich kommerziellen) Zeitrechnung das dritte Soul-Asylum-Album. Wenn man so will, das schwierige dritte, denn mit ihrem Song „Runaway Train“ und dem 93er Album „Grave Dancer's Union“ wurde für sie alles anders. Davor waren Soul Asylum eine der vielen Hüsker-Dü-beeinflußten Jingeljangel-Melody-Punkrockbands, die man sich anhörte, wenn man sich vom Noise und den Dissonanzen einer Band wie Sonic Youth etwas erholen wollte. Eine Band ohne Zukunft, für die wahrscheinlich eine Fußnote in den Rocklexika ausgereicht hätte. Danach aber hatten sie alle Männer im Baseballstadion und sicher auch Bill Clinton ganz doll lieb.

Doch anstatt nun antizyklisch zu agieren, ihre neuen Fans mit Pauken und fiesen Gitarrenlicks so richtig vor den Kopf zu stoßen, legten die Mannen um Sänger und Songschreiber Dave Pirner, den Ex-Lover von Winona Ryder, gleich noch ein paar Weichspüler nach und scheiterten – zumindest, was die plötzlich von ihnen erwarteten Verkaufszahlen anbetraf. Das Songmaterial für „Candy From A Stranger“ mußten sie auf Geheiß ihrer Plattenfirma sogar noch einmal neu überarbeiten – kein echter Hit in Sicht, kein zweites „Runaway Train“.

Sicher nicht der erste Hinweis für Soul Asylum, sie könnten nicht mehr ganz Herr ihres eigenen Schaffens sein. Doch sie haben sich gefügt, alles noch einmal neu arrangiert, und siehe da: Sie sind die neuen alten geblieben, so viele hübsche, zarte und leichte Mainstream-Rocker hatten sie noch nie.

Die packt man gern mit in den Picknickkorb für den Frühlingsausflug, pfeift sie aus Jux und Dollerei vor sich hin und hat sie so schnell vergessen, wie man sie lieben gelernt hat. Was ja nicht das schlechteste ist. Die Plattenfirma also hatte recht. Ob Soul Asylum dort aber auch ihr nächstes Album veröffentlichen dürfen, darf bezweifelt werden, und dann wird es auch mal wieder richtig spannend.

Und Dave Pirner vielleicht der Gott, der einen wie Evan Dando das Fürchten lehrt. Gerrit Bartels

Sonic Youth: „A Thousand Leaves“ (Geffen/Universal)

Soul Asylum: „Candy From A Stranger“ (Columbia/Sony)

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