: EU schießt auf französische Vogeljäger
■ Paris soll täglich 200.000 Mark wegen Verletzung der Vogelschutzrichtlinie zahlen
Brüssel (taz) – Die beliebte und verbreitete Jagd der Franzosen auf Zugvögel beschäftigt wieder die EU-Kommission. Sie hat beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erneut eine Klage gegen die Regierung in Paris eingereicht. Diesmal fordert die EU-Kommission ein Zwangsgeld von rund 200.000 Mark für jeden Tag, an dem die EU-Vogelschutzrichtlinie nicht eingehalten wird.
Auslöser ist der Beschluß des französischen Parlaments aus der vergangenen Woche, den Beginn der Jagdzeit um einige Wochen auf den 14. Juli vorzuziehen. Die französischen Jäger und ihre überaus aggressive Lobby fordern das schon lange. Denn wenn sie erst später schießen dürfen, sind die Zugvögel schon vorübergeflogen. Genau das ist aber auch der Sinn der EU-Regelung, die Jagdzeiten so einzuschränken, daß die Vögel nicht ausgerottet werden.
Die EU-Vogelschutzrichtlinie von 1979 verbietet das Vogelkillen nicht, sondern setzt ihm Grenzen. Mehr war damals angesichts der Tradition in Frankreich nicht durchzusetzen, hatten sich doch schon 1789 die Bauern nur deswegen der Französischen Revolution angeschlossen, weil ihnen die Städter das uneingeschränkte Jagdrecht versprachen. Paris stimmte der Richtlinie vor zwanzig Jahren nur zu, weil der damalige Staatspräsident George Pompidou ein Vogelfreund war.
Seitdem spielen sich im Nachbarland jedes Jahr zur Zugvogelzeit dramatische Szenen ab. Viele Jäger scheren sich nicht um die EU-Richtlinie und ziehen in den Wald, wo bereits die Tierschützer protestierend warten. Hinter ihnen steht die Gendarmerie, die das Gesetz verteidigt und erst nach heftigen Auseinandersetzungen und gelegentlichem Schußwechsel zurückweicht. Nicht alle Jäger zielen dabei in die Luft, es gab auch schon Tote. Die EU-Kommission in Brüssel hat dann im Herbst immer beraten, „ob sich die Gendarmerie genügend gewehrt hat oder zu früh zurückgewichen ist“, erinnert sich ein Kommissionsmitarbeiter. Davon hing ab, ob ein Verfahren gegen Paris wegen Nichtdurchsetzung der Vogelschutzrichtlinie eingeleitet wurde. Die französische Regierung schwor bis zur nächsten Jagdsaison Besserung.
Die französische Nationalversammlung hatte den jährlichen Auftrieb nun satt. Außerdem hat sich der Wind in Europa gedreht. Nicht zufällig nimmt der Präsident des Gironde-Jägerverbandes, Henri Saborot, ausgerechnet auf die von Bundeskanzler Kohl beschworene Subsidiarität Bezug: Europa solle sich nicht soviel in nationale Angelegenheiten einmischen. Vogeljagd sei eine nationale, vielleicht gar regionale Sache.
In Brüssel sieht man das anders, zumal die in Frankreich abgeschossenen Zugvögel später in den skandinavischen Wäldern fehlen. Die EU-Kommission hat deshalb gegen die Jagdzeiten ein Verfahren eingeleitet. Weil das aber mit den üblichen Briefwechseln und Fristen viele Monate dauert, bis es beim EuGH landet, hat die Kommission das Verfahren des vergangenen Jahres forciert und mit der Bußgeldforderung verschärft. Darüber kann der EuGH schon in einigen Monaten entscheiden. Bei dieser Klage geht es allerdings nicht um den Vogelabschuß, sondern um die ebenfalls in Frankreich verbreitete Nesträuberei (die französischen Jäger sind aus EU- Sicht Mehrfachstraftäter).
In Brüssel hofft man, daß der französischen Regierung der Zusammenhang zwischen illegaler Jagdsaison und der plötzlichen Bußgelddrohung nicht verborgen bleibt. „Wir wollen, daß Frankreich das Gesetz möglichst bald rückgängig macht“, sagt ein Kommissionssprecher. Denn das neue Jagdgesetz gefährdet nicht nur viele Vogelarten, sondern auch die Glaubwürdigkeit der EU. In Brüssel kann sich niemand erinnern, daß sich ein nationales Parlament so kaltschnäuzig über EU-Recht hinweggesetzt hat. Alois Berger
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