: Bosse greifen nach den Sternen
American Pie: Der von den Klubbesitzern ausgelöste Arbeitskampf in der Basketball-Liga NBA könnte sich am Ende als Eigentor des Ligachefs David Stern erweisen ■ Von Matti Lieske
We started singin', bye bye Miss American Pie
Seit die Basketball-Liga am 1. Juli ihre Spieler aussperrte, tut sich wenig in der NBA. Die Chicago Bulls fahnden eifrig nach einem neuen Coach, Dennis Rodman ringt mit Karl Malone, und ansonsten ist man damit beschäftigt, das gloriose Dream Team, das für die Weltmeisterschaften in Athen (Beginn 29. Juli) vorgesehen war, durch eine halbwegs konkurrenzfähige Mannschaft zu ersetzen. Andere Aktivitäten wie Trainingslager, Spielerwechsel oder Vertragsverhandlungen mit free agents, darunter Jordan, Pippen, Barkley und Rodman, liegen auf Eis.
Die Weltmeisterschaft, wichtiger Baustein des globalen Expansionsdrangs der NBA, war das erste Eigentor, das die Bosse der Klubs, ermuntert von Liga-Commissioner David Stern, mit dem vom Zaun gebrochenen Arbeitskampf schossen. Offenbar hatte Stern nicht damit gerechnet, daß die Superstars seiner Liga so unfreundlich reagieren und die Aussperrung mit dem WM-Boykott beantworten würden. Sein Versuch, Detroits Musterknaben Grant Hill, der gern in Griechenland gespielt hätte, loszuschicken, um die anderen Profis doch noch zur Teilnahme zu bewegen, schlug fehl. Hill zog es klugerweise vor, nicht aus der Front der Spieler auszuscheren. Nun tritt ein Team aus Collegespielern, CBA-Profis und in Europa tätigen Akteuren an. Im vorläufigen 16er-Kader steht auch Alba Berlins Wendell Alexis.
Das zweite Eigentor von Stern könnte sich als noch fataler erweisen. Kaum war die Aussperrung verkündet, da traten auch schon die Fernsehsender CBS und Fox auf den Plan, die bei den zuletzt abgeschlossenen Fernsehverträgen mit der NBA leer ausgegangen waren. Sie erklärten, im September und Oktober Showmatches veranstalten und übertragen zu wollen.
Sollte der Arbeitskampf, wie erwartet, weitergehen und die NBA- Saison teilweise oder ganz ausfallen, wird sogar die Gründung einer Konkurrenzliga erwogen. Auch wenn Spieler, die laufende Verträge mit NBA-Klubs haben, vielleicht nicht teilnehmen würden, könnte man immerhin auf rund 150 free agents zurückgreifen. Und sollte Michael Jordan mitwirken, wären die nötigen Einschaltquoten garantiert. „Wenn es jemals einen perfekten Zeitpunkt gab, um eine rivalisierende Liga zu starten“, meint Spieleragent Mark Fleisher, „dann jetzt.“ Für die Spieler wäre es eine gute Gelegenheit, während des Arbeitskampfes Geld zu verdienen, und für die Footballsender CBS und Fox das reinste Fest, David Stern in die Suppe zu spucken. Dieser hatte sie kürzlich damit geärgert, daß er eine Konkurrenzorganisation zur NFL erwog.
Ein baldiges Ende des Streits in der NBA ist nicht in Sicht. Beide Seiten beharren auf ihren weit auseinanderliegenden Positionen, die letzten Verhandlungen wurden jeweils nach kurzer Zeit ergebnislos beendet. Die Spielergewerkschaft mit ihrem Direktor Billy Hunter ist im Gegensatz zum letzten Arbeitskampf vor zwei Jahren einig, und die Profis sind empört darüber, daß die Klubbesitzer den kollektiven Arbeitsvertrag, den sie 1996 mit 27:2 Stimmen angenommen hatten und der für sechs Jahre gelten sollte, gekündigt haben. „Jeder dachte, es wäre ein Vertrag für die Besitzer gewesen, nun soll es plötzlich ein Pakt der Spieler sein“, schimpft Michael Jordan, „das ist unfair den Spielern, den Fans und dem Spiel gegenüber.“ Nicht ganz zu Unrecht befürchtet er, daß Basketball einen ähnlichen Popularitätsverlust erleiden könnte wie vor einigen Jahren Baseball und Eishockey während ihrer langen Ausstände.
Die Liga macht die gestiegenen Gehälter der Profis für die Situation verantwortlich. Ein Anwachsen der Lohnsumme auf über 51,8 Prozent der Einnahmen gab ihnen das Recht, den Vertrag von 1996 zu kündigen, inzwischen beträgt der Anteil sogar 57 Prozent. „Das jetzige System funktioniert nicht“, sagt David Stern und behauptet, daß die Liga letzte Saison trotz Einnahmen von 1,7 Milliarden Dollar erstmals seit Jahren keinen Gewinn erwirtschaftet habe. 13 Teams hätten laut Vizepräsident Russ Granik Verluste gemacht. Die Gewerkschaft bezweifelt diese Zahlen. Nach ihren Erkenntnissen seien nur vier Teams auf der Minusseite, und dies bloß, weil sie teure neue Arenen gebaut hätten.
Strittig sind zwischen den Parteien vor allem vier Punkte, von denen bei genauerem Hinschauen aber bloß ein einziger wirklich brisant ist. Relativ schnelle Einigung wäre vermutlich über die Drogensanktionspolitik zu erzielen, die bisher auf Kokain und Heroin bezogen ist, von der NBA aber gern auf Marihuana und Alkoholmißbrauch erweitert würde; ebenso über das Bestreben der NBA, die Jungprofis länger an ihr erstes Team zu binden, und eine Staffelung des Mindestlohnes (letzte Saison verdienten rund 60 Spieler das Minimum von 272.500 Dollar) nach NBA-Dienstjahren.
Der Knackpunkt des Konflikts ist die „Larry-Bird-Exception“, benannt nach dem Ex-Star der Boston Celtics, der als erster von dieser Regelung profitierte. Sie erlaubt es den Klubs, ihre eigenen free agents unter Vertrag zu nehmen, ohne daß deren Bezahlung unter die salary cap fällt, die Gehaltsobergrenze für das gesamte Team. Nur so war es möglich, daß die Chicago Bulls Michael Jordan letzte Saison mehr als 33 Millionen Dollar zahlten, obwohl die salary cap des Teams nur 26,9 Millionen betrug. Die Besitzer wollen ihren Angestellten weniger zahlen und darum die Klausel abschaffen, die Spieler wollen keinesfalls darauf verzichten. Eine „harte“ salary cap würde ihrer Meinung nicht nur dazu führen, daß die Gehälter der Superstars sänken, sondern vor allem dazu, daß alle anderen nur noch den Mindestlohn bekämen.
Die Gewerkschaft verweist darauf, daß es schließlich die Teameigner sind, die horrende Gehälter wie Kevin Garnetts vielzitierte 126 Millionen Dollar für einen Mehrjahresvertrag in Minnesota zahlen und nicht in der Lage sind, eine einheitliche Linie zu finden, um diesem Trend entgegenzuwirken. Die Lakers machten Orlando Magic mit 120 Millionen Dollar Shaquille O'Neal abspenstig, und als sich die Denver Nuggets weigerten, die gigantischen Forderungen ihres Spielers Antonio McDyess zu erfüllen, stand sofort Phoenix bereit und nahm ihn unter Vertrag. Denvers Management erntete bei den anderen Klubs viel Lob für seine Standhaftigkeit, hatte danach aber das schlechteste Team der Liga.
„Sie sind die Leute mit dem Scheckbuch“, sagt Gewerkschaftspräsident Patrick Ewing (New York Knicks), und Billy Hunter assistiert: „Unsere Position ist, wenn ihr nicht soviel zahlen wollt, dann zahlt eben nicht.“ Die Klubs, die Verluste machen, täten dies, weil sie miserabel gewirtschaftet hätten, ergänzt der Verhandlungsführer der Spielerorganisation und meint: „Es ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaft, den Besitzern dabei zu helfen, sich selbst zu beaufsichtigen.“ Die Einnahmen würden ständig steigen, es gäbe keinen Grund, das derzeitige System zu ändern, sagt Hunter. „Die NBA will den Mond, und die Sterne noch dazu“, kommentiert Agent Fleisher sarkastisch den Vorstoß der Bosse.
Vor zwei Jahren wäre die Gewerkschaft am Arbeitskampf fast zerbrochen, diesmal ist sie einig wie nie zuvor. Patrick Ewing läßt jedenfalls keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Edelproletarier aus der NBA: „Wir sind stark. Wir glauben an uns. Wir kämpfen für unsere Rechte.“
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